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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.

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durch den moralischen Werth eines Menschen, oder wohl gar den Umfang seiner Geistesfähigkeiten und Kenntnisse bestimmen will*) und so unwahr der Satz eines alten Weltweisen ist: daß in einem schönen Körper auch eine schöne Seele wohnen müsse; so unläugbar ists doch auf der andern Seite, daß wir vermöge eines auf physiognomisches Gefühl gegründeten Triebes, der freilich bei Einigen stärker, bei Andern schwächer, und noch bey Andern gar nicht vorhanden seyn kann, zu gewissen Menschen gleichsam unwillkürlich hingezogen, und von Andern zurückgestoßen werden, je nachdem wir bald mehr bald weniger Uebereinstimmung ihrer

*) Lavater, welcher noch iezt behauptet: daß ihm von Natur ein besonderes feines Gefühl, auf dem Gesichte eines Menschen seine Seele und Seelengröße zu lesen, mitgetheilt sey, legte bei seiner Anwesenheit in B.. ein neues Zeugniß seiner physiognomischen Prahlerei durch folgende laut gesagte Versicherung ab: "Wenn mir, sagte er, Jerusalems Kopf, wie das Haupt Johannis auf einer Schüssel, abgesondert vom Körper, presentirt würde, und ich wüßte nicht, daß es der Kopf des großen Jerusalems sey; nicht, daß aus ihm das Werk von den Wahrheiten der Religion hervorging; so würde ich ihm doch gleich beim ersten Anblick zurufen: Du bist und mußt Jerusalems Kopf seyn"! - Solche zum Theil noch sinnlosere Sentenzen stehen auf mehr als einer Seite seiner Physiognomik, als eben so viel Beweise, daß man mit dergleichen declamatorischen und übertriebenen Sätzen oft - nichts sagt.


durch den moralischen Werth eines Menschen, oder wohl gar den Umfang seiner Geistesfaͤhigkeiten und Kenntnisse bestimmen will*) und so unwahr der Satz eines alten Weltweisen ist: daß in einem schoͤnen Koͤrper auch eine schoͤne Seele wohnen muͤsse; so unlaͤugbar ists doch auf der andern Seite, daß wir vermoͤge eines auf physiognomisches Gefuͤhl gegruͤndeten Triebes, der freilich bei Einigen staͤrker, bei Andern schwaͤcher, und noch bey Andern gar nicht vorhanden seyn kann, zu gewissen Menschen gleichsam unwillkuͤrlich hingezogen, und von Andern zuruͤckgestoßen werden, je nachdem wir bald mehr bald weniger Uebereinstimmung ihrer

*) Lavater, welcher noch iezt behauptet: daß ihm von Natur ein besonderes feines Gefuͤhl, auf dem Gesichte eines Menschen seine Seele und Seelengroͤße zu lesen, mitgetheilt sey, legte bei seiner Anwesenheit in B.. ein neues Zeugniß seiner physiognomischen Prahlerei durch folgende laut gesagte Versicherung ab: »Wenn mir, sagte er, Jerusalems Kopf, wie das Haupt Johannis auf einer Schuͤssel, abgesondert vom Koͤrper, presentirt wuͤrde, und ich wuͤßte nicht, daß es der Kopf des großen Jerusalems sey; nicht, daß aus ihm das Werk von den Wahrheiten der Religion hervorging; so wuͤrde ich ihm doch gleich beim ersten Anblick zurufen: Du bist und mußt Jerusalems Kopf seyn«! – Solche zum Theil noch sinnlosere Sentenzen stehen auf mehr als einer Seite seiner Physiognomik, als eben so viel Beweise, daß man mit dergleichen declamatorischen und uͤbertriebenen Saͤtzen oft – nichts sagt.
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[39/0041] durch den moralischen Werth eines Menschen, oder wohl gar den Umfang seiner Geistesfaͤhigkeiten und Kenntnisse bestimmen will*) und so unwahr der Satz eines alten Weltweisen ist: daß in einem schoͤnen Koͤrper auch eine schoͤne Seele wohnen muͤsse; so unlaͤugbar ists doch auf der andern Seite, daß wir vermoͤge eines auf physiognomisches Gefuͤhl gegruͤndeten Triebes, der freilich bei Einigen staͤrker, bei Andern schwaͤcher, und noch bey Andern gar nicht vorhanden seyn kann, zu gewissen Menschen gleichsam unwillkuͤrlich hingezogen, und von Andern zuruͤckgestoßen werden, je nachdem wir bald mehr bald weniger Uebereinstimmung ihrer *) Lavater, welcher noch iezt behauptet: daß ihm von Natur ein besonderes feines Gefuͤhl, auf dem Gesichte eines Menschen seine Seele und Seelengroͤße zu lesen, mitgetheilt sey, legte bei seiner Anwesenheit in B.. ein neues Zeugniß seiner physiognomischen Prahlerei durch folgende laut gesagte Versicherung ab: »Wenn mir, sagte er, Jerusalems Kopf, wie das Haupt Johannis auf einer Schuͤssel, abgesondert vom Koͤrper, presentirt wuͤrde, und ich wuͤßte nicht, daß es der Kopf des großen Jerusalems sey; nicht, daß aus ihm das Werk von den Wahrheiten der Religion hervorging; so wuͤrde ich ihm doch gleich beim ersten Anblick zurufen: Du bist und mußt Jerusalems Kopf seyn«! – Solche zum Theil noch sinnlosere Sentenzen stehen auf mehr als einer Seite seiner Physiognomik, als eben so viel Beweise, daß man mit dergleichen declamatorischen und uͤbertriebenen Saͤtzen oft – nichts sagt.

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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/41>, abgerufen am 22.11.2024.