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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.

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neue Gespräche über die Litteratur ein. Endlich entschloß er sich zu gehen; aber in dem Augenblicke überraschte ihn wieder seine Geldbegierde. Er fragte die Gesellschaft recht angelegentlich: ob einer darunter ihm vielleicht einige Groschen geben wollte? Alle schrien: nein! Darauf wandte er sich noch einmahl an mich, sah mir ängstlich in die Augen, und fragte: aucune esperance? Jch versicherte ihn aber gleichfalls, daß er nichts von mir bekommen würde. "Wohl! erwiederte er, nun bin ich ruhig. Verzeihen Sie mir aber meine Zudringlichkeit; wenn einmahl mein Körper gesunder und fester werden sollte; so werde ich auch gewiß mehr Herr meiner Begierden seyn können." Er nahm darauf von der ganzen Gesellschaft anständig Abschied, empfahl sich meiner Freundschaft, und entfernte sich, nachdem er vorher noch ein Stück Kuchen von einem Nebentische heimlich zu sich gesteckt hatte.

Eine große Menge Anecdoten von dem Geitze dieses Unglücklichen und seiner Neigung zum Stehlen sind bei uns stadtkundig, und zeigen zum Theil unwidersprechlich, daß er sie nicht ablegen kann, weil seine Seele durchaus keine Gewalt mehr über eine angenommene Gewohnheit zu haben scheint. Neulich wurde ein Prediger bestellt, der ihm das heilige Abendmahl reichen sollte, weil er einiges Verlangen darnach bezeigt hatte. Der Prediger kam, und gab sich alle ersinnliche Mühe, ihm seine Lieblings-


neue Gespraͤche uͤber die Litteratur ein. Endlich entschloß er sich zu gehen; aber in dem Augenblicke uͤberraschte ihn wieder seine Geldbegierde. Er fragte die Gesellschaft recht angelegentlich: ob einer darunter ihm vielleicht einige Groschen geben wollte? Alle schrien: nein! Darauf wandte er sich noch einmahl an mich, sah mir aͤngstlich in die Augen, und fragte: aucune espérance? Jch versicherte ihn aber gleichfalls, daß er nichts von mir bekommen wuͤrde. »Wohl! erwiederte er, nun bin ich ruhig. Verzeihen Sie mir aber meine Zudringlichkeit; wenn einmahl mein Koͤrper gesunder und fester werden sollte; so werde ich auch gewiß mehr Herr meiner Begierden seyn koͤnnen.« Er nahm darauf von der ganzen Gesellschaft anstaͤndig Abschied, empfahl sich meiner Freundschaft, und entfernte sich, nachdem er vorher noch ein Stuͤck Kuchen von einem Nebentische heimlich zu sich gesteckt hatte.

Eine große Menge Anecdoten von dem Geitze dieses Ungluͤcklichen und seiner Neigung zum Stehlen sind bei uns stadtkundig, und zeigen zum Theil unwidersprechlich, daß er sie nicht ablegen kann, weil seine Seele durchaus keine Gewalt mehr uͤber eine angenommene Gewohnheit zu haben scheint. Neulich wurde ein Prediger bestellt, der ihm das heilige Abendmahl reichen sollte, weil er einiges Verlangen darnach bezeigt hatte. Der Prediger kam, und gab sich alle ersinnliche Muͤhe, ihm seine Lieblings-

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[27/0029] neue Gespraͤche uͤber die Litteratur ein. Endlich entschloß er sich zu gehen; aber in dem Augenblicke uͤberraschte ihn wieder seine Geldbegierde. Er fragte die Gesellschaft recht angelegentlich: ob einer darunter ihm vielleicht einige Groschen geben wollte? Alle schrien: nein! Darauf wandte er sich noch einmahl an mich, sah mir aͤngstlich in die Augen, und fragte: aucune espérance? Jch versicherte ihn aber gleichfalls, daß er nichts von mir bekommen wuͤrde. »Wohl! erwiederte er, nun bin ich ruhig. Verzeihen Sie mir aber meine Zudringlichkeit; wenn einmahl mein Koͤrper gesunder und fester werden sollte; so werde ich auch gewiß mehr Herr meiner Begierden seyn koͤnnen.« Er nahm darauf von der ganzen Gesellschaft anstaͤndig Abschied, empfahl sich meiner Freundschaft, und entfernte sich, nachdem er vorher noch ein Stuͤck Kuchen von einem Nebentische heimlich zu sich gesteckt hatte. Eine große Menge Anecdoten von dem Geitze dieses Ungluͤcklichen und seiner Neigung zum Stehlen sind bei uns stadtkundig, und zeigen zum Theil unwidersprechlich, daß er sie nicht ablegen kann, weil seine Seele durchaus keine Gewalt mehr uͤber eine angenommene Gewohnheit zu haben scheint. Neulich wurde ein Prediger bestellt, der ihm das heilige Abendmahl reichen sollte, weil er einiges Verlangen darnach bezeigt hatte. Der Prediger kam, und gab sich alle ersinnliche Muͤhe, ihm seine Lieblings-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/29>, abgerufen am 24.11.2024.