Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Was mir ausserdem noch an diesem sonderbaren Menschen auffiel, war dieß, daß er mit einer unbeschreiblichen Ruhe und Gleichgültigkeit hunderdterlei Anecdoten von sich in der Gesellschaft erzählen hörte, und wenn sich der Erzähler in irgend einem Umstande zu irren schien, ihn hinterher gleich zu corrigiren pflegte. - Wie er aber nach und nach einen so gewaltigen Hang zum Geitz angenommen habe, konnte oder wollte er mir nicht sagen; sondern wieß mein weiteres Nachforschen mit einem ernsthaften Gesicht und mit den Worten ab: Mein Vater bestimmte mich zum Kaufmann, und ein Kaufmann muß durchaus geitzig seyn, wenn er durch die Welt kommen will! Endlich war die Zeit gekommen, daß er von seinem Führer, den man ihm immer mitgeben muß, damit er nicht öffentlich vor den Thüren bettelt oder davon läuft, nach Hause gebracht werden sollte. Er schien die Gesellschaft sehr ungern zu verlassen, zumahl da ein schönes Mädchen nicht weit von ihm saß; hörte einigemahl auf das Dringen seines Onkels nicht, der ihn gern nach Hause schicken wollte, und ließ sich immer wieder mit mir in
Was mir ausserdem noch an diesem sonderbaren Menschen auffiel, war dieß, daß er mit einer unbeschreiblichen Ruhe und Gleichguͤltigkeit hunderdterlei Anecdoten von sich in der Gesellschaft erzaͤhlen hoͤrte, und wenn sich der Erzaͤhler in irgend einem Umstande zu irren schien, ihn hinterher gleich zu corrigiren pflegte. – Wie er aber nach und nach einen so gewaltigen Hang zum Geitz angenommen habe, konnte oder wollte er mir nicht sagen; sondern wieß mein weiteres Nachforschen mit einem ernsthaften Gesicht und mit den Worten ab: Mein Vater bestimmte mich zum Kaufmann, und ein Kaufmann muß durchaus geitzig seyn, wenn er durch die Welt kommen will! Endlich war die Zeit gekommen, daß er von seinem Fuͤhrer, den man ihm immer mitgeben muß, damit er nicht oͤffentlich vor den Thuͤren bettelt oder davon laͤuft, nach Hause gebracht werden sollte. Er schien die Gesellschaft sehr ungern zu verlassen, zumahl da ein schoͤnes Maͤdchen nicht weit von ihm saß; hoͤrte einigemahl auf das Dringen seines Onkels nicht, der ihn gern nach Hause schicken wollte, und ließ sich immer wieder mit mir in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0028" n="26"/><lb/> nicht in die mindeste Verlegenheit, er schien mir sogar heitrer und ruhiger als vorher zu seyn, und er betheurte mir darauf, daß er nicht leicht mit jemanden ernstlich sprechen koͤnne, ehe er nicht etwas Geld von ihm bekommen haͤtte, oder ihm sein Gesuch rund abgeschlagen worden waͤre.</p> <p>Was mir ausserdem noch an diesem sonderbaren Menschen auffiel, war dieß, daß er mit einer unbeschreiblichen Ruhe und Gleichguͤltigkeit hunderdterlei Anecdoten von sich in der Gesellschaft erzaͤhlen hoͤrte, und wenn sich der Erzaͤhler in irgend einem Umstande zu irren schien, ihn hinterher gleich zu corrigiren pflegte. – <hi rendition="#b">Wie</hi> er aber nach und nach einen so gewaltigen Hang zum Geitz angenommen habe, konnte oder wollte er mir nicht sagen; sondern wieß mein weiteres Nachforschen mit einem ernsthaften Gesicht und mit den Worten ab: Mein Vater bestimmte mich zum Kaufmann, und ein Kaufmann muß durchaus geitzig seyn, wenn er durch die Welt kommen will!</p> <p>Endlich war die Zeit gekommen, daß er von seinem Fuͤhrer, den man ihm immer mitgeben muß, damit er nicht oͤffentlich vor den Thuͤren bettelt oder davon laͤuft, nach Hause gebracht werden sollte. Er schien die Gesellschaft sehr ungern zu verlassen, zumahl da ein schoͤnes Maͤdchen nicht weit von ihm saß; hoͤrte einigemahl auf das Dringen seines Onkels nicht, der ihn gern nach Hause schicken wollte, und ließ sich immer wieder mit mir in<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [26/0028]
nicht in die mindeste Verlegenheit, er schien mir sogar heitrer und ruhiger als vorher zu seyn, und er betheurte mir darauf, daß er nicht leicht mit jemanden ernstlich sprechen koͤnne, ehe er nicht etwas Geld von ihm bekommen haͤtte, oder ihm sein Gesuch rund abgeschlagen worden waͤre.
Was mir ausserdem noch an diesem sonderbaren Menschen auffiel, war dieß, daß er mit einer unbeschreiblichen Ruhe und Gleichguͤltigkeit hunderdterlei Anecdoten von sich in der Gesellschaft erzaͤhlen hoͤrte, und wenn sich der Erzaͤhler in irgend einem Umstande zu irren schien, ihn hinterher gleich zu corrigiren pflegte. – Wie er aber nach und nach einen so gewaltigen Hang zum Geitz angenommen habe, konnte oder wollte er mir nicht sagen; sondern wieß mein weiteres Nachforschen mit einem ernsthaften Gesicht und mit den Worten ab: Mein Vater bestimmte mich zum Kaufmann, und ein Kaufmann muß durchaus geitzig seyn, wenn er durch die Welt kommen will!
Endlich war die Zeit gekommen, daß er von seinem Fuͤhrer, den man ihm immer mitgeben muß, damit er nicht oͤffentlich vor den Thuͤren bettelt oder davon laͤuft, nach Hause gebracht werden sollte. Er schien die Gesellschaft sehr ungern zu verlassen, zumahl da ein schoͤnes Maͤdchen nicht weit von ihm saß; hoͤrte einigemahl auf das Dringen seines Onkels nicht, der ihn gern nach Hause schicken wollte, und ließ sich immer wieder mit mir in
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/28>, abgerufen am 16.07.2024. |