Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Es waren ohngefähr unser zehn, die auf dem Dorfe, da wir wohnten, in der Schule die Lateinische Sprache lernen wollten. Der Schulmeister wußte nicht das Wesentliche von dem Ausserwesentlichen, das Nutzbare von dem Unnutzbaren, ja selbst nicht von dem Schädlichen zu unterscheiden. Die ganze Lehrmethode war mechanisch, und er gab sich wenig Mühe, seinen Unterricht gründlich zu machen, oder dem Kinde in den gehörten und gelernten Sachen Gründlichkeit zu verschaffen; in Strafen kannte er keinen Zweck, folglich auch keine Maaß, sie waren also, wie die Aufgaben, mehrentheils unangemessen.

Einmal machten wir einen oder den andern Fehler in die Aufgabe, Du wirst Dich dieses Falles noch erinnern können? lieber Bruder! es wandelte den guten Schulmeister die Lust zu strafen an; die, wie es schien, ihm sein einziges Mittel war, ihn einer bösen Laune zu entreißen, und die selbstgemachte, leere Kapritzen erzeugende Grillen zu vertreiben. Einige hatten einen Fehler, andere mehrere; einige hatten strafbarere, andere nicht so strafbare Fehler gemacht; einige waren fähiger, andere nicht so fähig; einige waren schon längere Zeit Schüler, andere nur erst Angänger. -- Doch dieses zu betrachten, wäre ihm zu umständlich gewesen, und es war über seinen gewöhnlichen Gesichtspunkt. Alle mußten sich zur Ruthe bereit halten, und nun ging's an; die Ruthe stieg von der


Es waren ohngefaͤhr unser zehn, die auf dem Dorfe, da wir wohnten, in der Schule die Lateinische Sprache lernen wollten. Der Schulmeister wußte nicht das Wesentliche von dem Ausserwesentlichen, das Nutzbare von dem Unnutzbaren, ja selbst nicht von dem Schaͤdlichen zu unterscheiden. Die ganze Lehrmethode war mechanisch, und er gab sich wenig Muͤhe, seinen Unterricht gruͤndlich zu machen, oder dem Kinde in den gehoͤrten und gelernten Sachen Gruͤndlichkeit zu verschaffen; in Strafen kannte er keinen Zweck, folglich auch keine Maaß, sie waren also, wie die Aufgaben, mehrentheils unangemessen.

Einmal machten wir einen oder den andern Fehler in die Aufgabe, Du wirst Dich dieses Falles noch erinnern koͤnnen? lieber Bruder! es wandelte den guten Schulmeister die Lust zu strafen an; die, wie es schien, ihm sein einziges Mittel war, ihn einer boͤsen Laune zu entreißen, und die selbstgemachte, leere Kapritzen erzeugende Grillen zu vertreiben. Einige hatten einen Fehler, andere mehrere; einige hatten strafbarere, andere nicht so strafbare Fehler gemacht; einige waren faͤhiger, andere nicht so faͤhig; einige waren schon laͤngere Zeit Schuͤler, andere nur erst Angaͤnger. — Doch dieses zu betrachten, waͤre ihm zu umstaͤndlich gewesen, und es war uͤber seinen gewoͤhnlichen Gesichtspunkt. Alle mußten sich zur Ruthe bereit halten, und nun ging's an; die Ruthe stieg von der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0088" n="88"/><lb/>
            <p>Es waren ohngefa&#x0364;hr unser zehn, die auf dem Dorfe, da wir wohnten, in der                         Schule die Lateinische Sprache lernen wollten. Der Schulmeister wußte nicht                         das Wesentliche von dem Ausserwesentlichen, das Nutzbare von dem                         Unnutzbaren, ja selbst nicht von dem Scha&#x0364;dlichen zu unterscheiden. Die ganze                         Lehrmethode war mechanisch, und er gab sich wenig Mu&#x0364;he, seinen Unterricht                         gru&#x0364;ndlich zu machen, oder dem Kinde in den geho&#x0364;rten und gelernten Sachen                         Gru&#x0364;ndlichkeit zu verschaffen; in Strafen kannte er keinen Zweck, folglich                         auch keine Maaß, sie waren also, wie die Aufgaben, mehrentheils                         unangemessen. </p>
            <p>Einmal machten wir einen oder den andern Fehler in die Aufgabe, Du wirst Dich                         dieses Falles noch erinnern ko&#x0364;nnen? lieber Bruder! es wandelte den guten                         Schulmeister die Lust zu strafen an; die, wie es schien, ihm sein einziges                         Mittel war, ihn einer bo&#x0364;sen Laune zu entreißen, und die selbstgemachte,                         leere Kapritzen erzeugende Grillen zu vertreiben. Einige hatten einen                         Fehler, andere mehrere; einige hatten strafbarere, andere nicht so strafbare                         Fehler gemacht; einige waren fa&#x0364;higer, andere nicht so fa&#x0364;hig; einige waren                         schon la&#x0364;ngere Zeit Schu&#x0364;ler, andere nur erst Anga&#x0364;nger. &#x2014; Doch dieses zu                         betrachten, wa&#x0364;re ihm zu umsta&#x0364;ndlich gewesen, und es war u&#x0364;ber seinen                         gewo&#x0364;hnlichen Gesichtspunkt. Alle mußten sich zur Ruthe bereit halten, und                         nun ging's an; die Ruthe stieg von der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0088] Es waren ohngefaͤhr unser zehn, die auf dem Dorfe, da wir wohnten, in der Schule die Lateinische Sprache lernen wollten. Der Schulmeister wußte nicht das Wesentliche von dem Ausserwesentlichen, das Nutzbare von dem Unnutzbaren, ja selbst nicht von dem Schaͤdlichen zu unterscheiden. Die ganze Lehrmethode war mechanisch, und er gab sich wenig Muͤhe, seinen Unterricht gruͤndlich zu machen, oder dem Kinde in den gehoͤrten und gelernten Sachen Gruͤndlichkeit zu verschaffen; in Strafen kannte er keinen Zweck, folglich auch keine Maaß, sie waren also, wie die Aufgaben, mehrentheils unangemessen. Einmal machten wir einen oder den andern Fehler in die Aufgabe, Du wirst Dich dieses Falles noch erinnern koͤnnen? lieber Bruder! es wandelte den guten Schulmeister die Lust zu strafen an; die, wie es schien, ihm sein einziges Mittel war, ihn einer boͤsen Laune zu entreißen, und die selbstgemachte, leere Kapritzen erzeugende Grillen zu vertreiben. Einige hatten einen Fehler, andere mehrere; einige hatten strafbarere, andere nicht so strafbare Fehler gemacht; einige waren faͤhiger, andere nicht so faͤhig; einige waren schon laͤngere Zeit Schuͤler, andere nur erst Angaͤnger. — Doch dieses zu betrachten, waͤre ihm zu umstaͤndlich gewesen, und es war uͤber seinen gewoͤhnlichen Gesichtspunkt. Alle mußten sich zur Ruthe bereit halten, und nun ging's an; die Ruthe stieg von der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/88
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/88>, abgerufen am 13.05.2024.