Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite


findungen anstellen, wobei das Kind nicht leicht ermüdet, eben weil es selbst zu erfinden glaubt. Diese Uebung setzte der alte Fluur bald nachher mit geometrischen Figuren fort, aus deren Construktion er seinen Schüler die Euclidischen Sätze auf die leichteste Art zu folgern lehrte. Schack bekam von seinem Vater schon im zehnten Jahre einen wöchentlichen Unterricht in der Mathematik und Astrologie, eine Wissenschaft, zu welcher Schack eine ausserordentliche Neigung verrieth, auch bald darauf den Bauern des Dorfs darin Unterricht gab.

Nach jener Wiederholung seiner Lectionen verließ Schack die Schulstube, um seinem Vater einige Zeit zu seinen übrigen litterärischen Geschäften übrig zu lassen. Um neun Uhr fing der Unterricht wieder an, und es wurde nun ein Lateinischer Autor vorgenommen. Sein Vater hatte die besten Lateinischen Schriftsteller mehr als einmahl durchgelesen, so wie überhaupt die Alten seine Lieblingslektüre ausmachten. "Hier finde ich Perlen und Gold, pflegt' er zu seinen gelehrten Freunden oft zu sagen, was ich in den neuern Schriften nicht, wenigstens nicht so häufig finde; die Deutlichkeit, Correktheit und Ordnung der Gedanken, die hinreißende Schönheit des Styls, die männliche Kraft zu denken, wodurch sich die Alten so sichtbar auszeichnen, und worin sie immer unsere Muster bleiben müssen, scheinen selbst den besten Deutschen Schriftstellern nicht ganz zum Theil geworden zu


findungen anstellen, wobei das Kind nicht leicht ermuͤdet, eben weil es selbst zu erfinden glaubt. Diese Uebung setzte der alte Fluur bald nachher mit geometrischen Figuren fort, aus deren Construktion er seinen Schuͤler die Euclidischen Saͤtze auf die leichteste Art zu folgern lehrte. Schack bekam von seinem Vater schon im zehnten Jahre einen woͤchentlichen Unterricht in der Mathematik und Astrologie, eine Wissenschaft, zu welcher Schack eine ausserordentliche Neigung verrieth, auch bald darauf den Bauern des Dorfs darin Unterricht gab.

Nach jener Wiederholung seiner Lectionen verließ Schack die Schulstube, um seinem Vater einige Zeit zu seinen uͤbrigen litteraͤrischen Geschaͤften uͤbrig zu lassen. Um neun Uhr fing der Unterricht wieder an, und es wurde nun ein Lateinischer Autor vorgenommen. Sein Vater hatte die besten Lateinischen Schriftsteller mehr als einmahl durchgelesen, so wie uͤberhaupt die Alten seine Lieblingslektuͤre ausmachten. »Hier finde ich Perlen und Gold, pflegt' er zu seinen gelehrten Freunden oft zu sagen, was ich in den neuern Schriften nicht, wenigstens nicht so haͤufig finde; die Deutlichkeit, Correktheit und Ordnung der Gedanken, die hinreißende Schoͤnheit des Styls, die maͤnnliche Kraft zu denken, wodurch sich die Alten so sichtbar auszeichnen, und worin sie immer unsere Muster bleiben muͤssen, scheinen selbst den besten Deutschen Schriftstellern nicht ganz zum Theil geworden zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0070" n="70"/><lb/>
findungen                         anstellen, wobei das Kind nicht leicht ermu&#x0364;det, eben weil es selbst zu                         erfinden glaubt. Diese Uebung setzte der alte Fluur bald nachher mit                         geometrischen Figuren fort, aus deren Construktion er seinen Schu&#x0364;ler die                         Euclidischen Sa&#x0364;tze auf die leichteste Art zu folgern lehrte. Schack bekam                         von seinem Vater schon im zehnten Jahre einen wo&#x0364;chentlichen Unterricht in                         der Mathematik und Astrologie, eine Wissenschaft, zu welcher Schack eine                         ausserordentliche Neigung verrieth, auch bald darauf den Bauern des Dorfs                         darin Unterricht gab. </p>
            <p>Nach jener Wiederholung seiner Lectionen verließ Schack die Schulstube, um                         seinem Vater einige Zeit zu seinen u&#x0364;brigen littera&#x0364;rischen Gescha&#x0364;ften u&#x0364;brig                         zu lassen. Um neun Uhr fing der Unterricht wieder an, und es wurde nun ein                         Lateinischer Autor vorgenommen. Sein Vater hatte die besten Lateinischen                         Schriftsteller mehr als einmahl durchgelesen, so wie u&#x0364;berhaupt die Alten                         seine Lieblingslektu&#x0364;re ausmachten. »Hier finde ich Perlen und Gold, pflegt'                         er zu seinen gelehrten Freunden oft zu sagen, was ich in den neuern                         Schriften nicht, wenigstens nicht so ha&#x0364;ufig finde; die Deutlichkeit,                         Correktheit und Ordnung der Gedanken, die hinreißende Scho&#x0364;nheit des Styls,                         die ma&#x0364;nnliche Kraft zu denken, wodurch sich die Alten so sichtbar                         auszeichnen, und worin sie immer unsere Muster bleiben mu&#x0364;ssen, scheinen                         selbst den besten Deutschen Schriftstellern nicht ganz zum Theil geworden zu<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0070] findungen anstellen, wobei das Kind nicht leicht ermuͤdet, eben weil es selbst zu erfinden glaubt. Diese Uebung setzte der alte Fluur bald nachher mit geometrischen Figuren fort, aus deren Construktion er seinen Schuͤler die Euclidischen Saͤtze auf die leichteste Art zu folgern lehrte. Schack bekam von seinem Vater schon im zehnten Jahre einen woͤchentlichen Unterricht in der Mathematik und Astrologie, eine Wissenschaft, zu welcher Schack eine ausserordentliche Neigung verrieth, auch bald darauf den Bauern des Dorfs darin Unterricht gab. Nach jener Wiederholung seiner Lectionen verließ Schack die Schulstube, um seinem Vater einige Zeit zu seinen uͤbrigen litteraͤrischen Geschaͤften uͤbrig zu lassen. Um neun Uhr fing der Unterricht wieder an, und es wurde nun ein Lateinischer Autor vorgenommen. Sein Vater hatte die besten Lateinischen Schriftsteller mehr als einmahl durchgelesen, so wie uͤberhaupt die Alten seine Lieblingslektuͤre ausmachten. »Hier finde ich Perlen und Gold, pflegt' er zu seinen gelehrten Freunden oft zu sagen, was ich in den neuern Schriften nicht, wenigstens nicht so haͤufig finde; die Deutlichkeit, Correktheit und Ordnung der Gedanken, die hinreißende Schoͤnheit des Styls, die maͤnnliche Kraft zu denken, wodurch sich die Alten so sichtbar auszeichnen, und worin sie immer unsere Muster bleiben muͤssen, scheinen selbst den besten Deutschen Schriftstellern nicht ganz zum Theil geworden zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/70
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/70>, abgerufen am 12.05.2024.