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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.

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dern. Endlich erschien Einer, den sie zu besitzen wünschte, ein Offizier; er mochte ihr auf dem Ball, wo sie ihn kennen lernte, wohl manches Schöne gesagt haben, aber sie zu heurathen war ihm gewiß nicht in den Sinn gekommen; denn er kam nie wieder zum Vorschein. Doch hatte sie sich dieses in den Kopf gesetzt, und wurde darin von ihrer Freundin bestärkt, mit der sie über den Gegenstand ihrer Liebe briefwechselte. Zwei Jahre lang hing sie diesen Gedanken nach, und ließ einen andern, den ihre Mutter für sie bestimmt hatte, eben so lange vergeblich schmachten. Er wußte sich unterdeß bei gutwilligen Mädchen schadlos zu halten, und kam nur deswegen zurück, weil ihn ihr Geld lockte. Da nun das Zudringen der Eltern, das wiederholte Anhalten des jungen Mannes und seine verstellte Liebe das Mädchen preßten, so gab sie endlich das Jawort von sich. Jtzt fing sie an, ihn wirklich unbegränzt zu lieben. Sie machte sich Vorwürfe, daß sie ihn so lange unerhört gelassen. Alle ihre Nerven wurden durch die außerordentlichen Bewegungen ihres Gehirns erschüttert, überspannt, und sie unterlag der Stärke ihrer Empfindungen; denn ein ihr verursachtes Schrecken raubte ihr plötzlich allen Verstand. Mit starrem, fürchterlichen Blick saß sie da; bald brach sie in ein höhnisches Lächeln aus, bald sang und betete sie. Arzneien weigerte sie sich lange einzunehmen: einen Abend verstellte sich der Arzt in


dern. Endlich erschien Einer, den sie zu besitzen wuͤnschte, ein Offizier; er mochte ihr auf dem Ball, wo sie ihn kennen lernte, wohl manches Schoͤne gesagt haben, aber sie zu heurathen war ihm gewiß nicht in den Sinn gekommen; denn er kam nie wieder zum Vorschein. Doch hatte sie sich dieses in den Kopf gesetzt, und wurde darin von ihrer Freundin bestaͤrkt, mit der sie uͤber den Gegenstand ihrer Liebe briefwechselte. Zwei Jahre lang hing sie diesen Gedanken nach, und ließ einen andern, den ihre Mutter fuͤr sie bestimmt hatte, eben so lange vergeblich schmachten. Er wußte sich unterdeß bei gutwilligen Maͤdchen schadlos zu halten, und kam nur deswegen zuruͤck, weil ihn ihr Geld lockte. Da nun das Zudringen der Eltern, das wiederholte Anhalten des jungen Mannes und seine verstellte Liebe das Maͤdchen preßten, so gab sie endlich das Jawort von sich. Jtzt fing sie an, ihn wirklich unbegraͤnzt zu lieben. Sie machte sich Vorwuͤrfe, daß sie ihn so lange unerhoͤrt gelassen. Alle ihre Nerven wurden durch die außerordentlichen Bewegungen ihres Gehirns erschuͤttert, uͤberspannt, und sie unterlag der Staͤrke ihrer Empfindungen; denn ein ihr verursachtes Schrecken raubte ihr ploͤtzlich allen Verstand. Mit starrem, fuͤrchterlichen Blick saß sie da; bald brach sie in ein hoͤhnisches Laͤcheln aus, bald sang und betete sie. Arzneien weigerte sie sich lange einzunehmen: einen Abend verstellte sich der Arzt in

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[44/0044] dern. Endlich erschien Einer, den sie zu besitzen wuͤnschte, ein Offizier; er mochte ihr auf dem Ball, wo sie ihn kennen lernte, wohl manches Schoͤne gesagt haben, aber sie zu heurathen war ihm gewiß nicht in den Sinn gekommen; denn er kam nie wieder zum Vorschein. Doch hatte sie sich dieses in den Kopf gesetzt, und wurde darin von ihrer Freundin bestaͤrkt, mit der sie uͤber den Gegenstand ihrer Liebe briefwechselte. Zwei Jahre lang hing sie diesen Gedanken nach, und ließ einen andern, den ihre Mutter fuͤr sie bestimmt hatte, eben so lange vergeblich schmachten. Er wußte sich unterdeß bei gutwilligen Maͤdchen schadlos zu halten, und kam nur deswegen zuruͤck, weil ihn ihr Geld lockte. Da nun das Zudringen der Eltern, das wiederholte Anhalten des jungen Mannes und seine verstellte Liebe das Maͤdchen preßten, so gab sie endlich das Jawort von sich. Jtzt fing sie an, ihn wirklich unbegraͤnzt zu lieben. Sie machte sich Vorwuͤrfe, daß sie ihn so lange unerhoͤrt gelassen. Alle ihre Nerven wurden durch die außerordentlichen Bewegungen ihres Gehirns erschuͤttert, uͤberspannt, und sie unterlag der Staͤrke ihrer Empfindungen; denn ein ihr verursachtes Schrecken raubte ihr ploͤtzlich allen Verstand. Mit starrem, fuͤrchterlichen Blick saß sie da; bald brach sie in ein hoͤhnisches Laͤcheln aus, bald sang und betete sie. Arzneien weigerte sie sich lange einzunehmen: einen Abend verstellte sich der Arzt in

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/44>, abgerufen am 28.04.2024.