Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.Zur Seelenkrankheitskunde. 1. Jn Wolfenbüttel lebt ein Mann, Namens Lauterbach; er hat in seiner Jugend Theologie studiert und sich mit vielem Eifer auf die orientalischen Sprachen gelegt, in welchen er es zu einer nicht ganz gewöhnlichen Geschicklichkeit gebracht haben soll. Auch hat er seine Dogmatik und die damit verwandten Wissenschaften auf das treulichste seinem Gedächtniß einverleibt, so, daß er noch jetzt manchem aufzurathen geben kann. Er ist einige funfzig Jahr alt, hat nie ein Amt bekleidet, sondern theils von einem kleinen Vermögen und den Unterstützungen seiner Verwandten, theils vom Abschreiben für Sachwalter sich genährt. Dieser Mann hat in seinem Aeußern viel Ernsthaftes und Anständiges, er kann über viele Dinge und zwar vernünftig und einsichtsvoll urtheilen; aber wenn man einige Saiten berührt, dann überstimmt ein Miston alles übrige, und der vernünftige Mann ist plötzlich in einen der seltsamsten Thoren verwandelt. Eine seiner sonderbarsten Grillen ist die, daß von der Beschaffenheit der Steine die Zur Seelenkrankheitskunde. 1. Jn Wolfenbuͤttel lebt ein Mann, Namens Lauterbach; er hat in seiner Jugend Theologie studiert und sich mit vielem Eifer auf die orientalischen Sprachen gelegt, in welchen er es zu einer nicht ganz gewoͤhnlichen Geschicklichkeit gebracht haben soll. Auch hat er seine Dogmatik und die damit verwandten Wissenschaften auf das treulichste seinem Gedaͤchtniß einverleibt, so, daß er noch jetzt manchem aufzurathen geben kann. Er ist einige funfzig Jahr alt, hat nie ein Amt bekleidet, sondern theils von einem kleinen Vermoͤgen und den Unterstuͤtzungen seiner Verwandten, theils vom Abschreiben fuͤr Sachwalter sich genaͤhrt. Dieser Mann hat in seinem Aeußern viel Ernsthaftes und Anstaͤndiges, er kann uͤber viele Dinge und zwar vernuͤnftig und einsichtsvoll urtheilen; aber wenn man einige Saiten beruͤhrt, dann uͤberstimmt ein Miston alles uͤbrige, und der vernuͤnftige Mann ist ploͤtzlich in einen der seltsamsten Thoren verwandelt. Eine seiner sonderbarsten Grillen ist die, daß von der Beschaffenheit der Steine die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0017" n="17"/><lb/><lb/> </div> <div n="2"> <head>Zur Seelenkrankheitskunde.</head><lb/> <div n="3"> <head>1.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref25"><note type="editorial"/>Voß, Christian Daniel</persName> </bibl> </note> <p>Jn Wolfenbuͤttel lebt ein Mann, Namens <hi rendition="#b">Lauterbach;</hi> er hat in seiner Jugend Theologie studiert und sich mit vielem Eifer auf die orientalischen Sprachen gelegt, in welchen er es zu einer nicht ganz gewoͤhnlichen Geschicklichkeit gebracht haben soll. Auch hat er seine Dogmatik und die damit verwandten Wissenschaften auf das treulichste seinem Gedaͤchtniß einverleibt, so, daß er noch jetzt manchem aufzurathen geben kann. Er ist einige funfzig Jahr alt, hat nie ein Amt bekleidet, sondern theils von einem kleinen Vermoͤgen und den Unterstuͤtzungen seiner Verwandten, theils vom Abschreiben fuͤr Sachwalter sich genaͤhrt. Dieser Mann hat in seinem Aeußern viel Ernsthaftes und Anstaͤndiges, er kann uͤber viele Dinge und zwar vernuͤnftig und einsichtsvoll urtheilen; aber wenn man einige <choice><corr>Saiten</corr><sic>Seiten</sic></choice> beruͤhrt, dann uͤberstimmt ein Miston alles uͤbrige, und der vernuͤnftige Mann ist ploͤtzlich in einen der seltsamsten Thoren verwandelt. Eine seiner sonderbarsten Grillen ist die, daß von der Beschaffenheit der Steine die<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [17/0017]
Zur Seelenkrankheitskunde.
1.
Jn Wolfenbuͤttel lebt ein Mann, Namens Lauterbach; er hat in seiner Jugend Theologie studiert und sich mit vielem Eifer auf die orientalischen Sprachen gelegt, in welchen er es zu einer nicht ganz gewoͤhnlichen Geschicklichkeit gebracht haben soll. Auch hat er seine Dogmatik und die damit verwandten Wissenschaften auf das treulichste seinem Gedaͤchtniß einverleibt, so, daß er noch jetzt manchem aufzurathen geben kann. Er ist einige funfzig Jahr alt, hat nie ein Amt bekleidet, sondern theils von einem kleinen Vermoͤgen und den Unterstuͤtzungen seiner Verwandten, theils vom Abschreiben fuͤr Sachwalter sich genaͤhrt. Dieser Mann hat in seinem Aeußern viel Ernsthaftes und Anstaͤndiges, er kann uͤber viele Dinge und zwar vernuͤnftig und einsichtsvoll urtheilen; aber wenn man einige Saiten beruͤhrt, dann uͤberstimmt ein Miston alles uͤbrige, und der vernuͤnftige Mann ist ploͤtzlich in einen der seltsamsten Thoren verwandelt. Eine seiner sonderbarsten Grillen ist die, daß von der Beschaffenheit der Steine die
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