Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0124" n="124"/><lb/> ner Seele. Ohne allen Einfluß auf diese, ohne alle Wirkung auf ihre Kraͤfte und Aeußerungen konnte wol die Unvergeßlichkeit dieses empfindlichen Verlustes, und das immer gleichstarke Schmerzengefuͤhl nicht bestehen. Natuͤrlich war es also, wenn die Phantasie ihm aͤhnliche Wirkungen spann, wenn Todesgefuͤhle ihn umschwebten und seine betaͤubte Gedanken ins Grab sanken. Wir wissen, wie leicht unsere Traͤume an dergleichen phantastischem Gedraͤnge Antheil nehmen, sich ganz nach ihnen richten, aber auch, daß sie zu der Sache immer noch etwas zusetzen, sie anwenden und mehr bestimmen. So entstand bei diesem jungen Menschen ganz natuͤrlicherweise der Traum: du wirst auch sterben; du wirst nach drei Jahren an demselben Sterbetag deines Bruders sterben. Dies war nur Traum, aber lebhaft genug fuͤr ihn, um ihn fuͤr Wahrheit, fuͤr ein seines Ausganges gewisses Ahndungsgefuͤhl zu halten; die Wirkung, die dieser Traum, in Hinsicht auf seine Einbildungskraft, hervorbrachte, und die sich auch aus der nachher gefundenen Aufzeichnung des ganzen Traumes vernehmen laͤßt, diese war hinreichend, ihn nach allmaͤhligen Zubereitungen, Modifikationen und Schwaͤchungen des Koͤrpers und seiner Kraͤfte, den bekannten Folgen starker Eindruͤcke auf die Einbildungskraft gemaͤß, zur Wirklichkeit zu bringen. Und nun, da der Moment der Entscheidung schon nahe war, da stieg die Ueberzeugung und Gewiß-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [124/0124]
ner Seele. Ohne allen Einfluß auf diese, ohne alle Wirkung auf ihre Kraͤfte und Aeußerungen konnte wol die Unvergeßlichkeit dieses empfindlichen Verlustes, und das immer gleichstarke Schmerzengefuͤhl nicht bestehen. Natuͤrlich war es also, wenn die Phantasie ihm aͤhnliche Wirkungen spann, wenn Todesgefuͤhle ihn umschwebten und seine betaͤubte Gedanken ins Grab sanken. Wir wissen, wie leicht unsere Traͤume an dergleichen phantastischem Gedraͤnge Antheil nehmen, sich ganz nach ihnen richten, aber auch, daß sie zu der Sache immer noch etwas zusetzen, sie anwenden und mehr bestimmen. So entstand bei diesem jungen Menschen ganz natuͤrlicherweise der Traum: du wirst auch sterben; du wirst nach drei Jahren an demselben Sterbetag deines Bruders sterben. Dies war nur Traum, aber lebhaft genug fuͤr ihn, um ihn fuͤr Wahrheit, fuͤr ein seines Ausganges gewisses Ahndungsgefuͤhl zu halten; die Wirkung, die dieser Traum, in Hinsicht auf seine Einbildungskraft, hervorbrachte, und die sich auch aus der nachher gefundenen Aufzeichnung des ganzen Traumes vernehmen laͤßt, diese war hinreichend, ihn nach allmaͤhligen Zubereitungen, Modifikationen und Schwaͤchungen des Koͤrpers und seiner Kraͤfte, den bekannten Folgen starker Eindruͤcke auf die Einbildungskraft gemaͤß, zur Wirklichkeit zu bringen. Und nun, da der Moment der Entscheidung schon nahe war, da stieg die Ueberzeugung und Gewiß-
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