Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite


wort hören, sondern zugleich sein Urtheil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit derselben sagen sollte. Wenn er selbst gefragt wird: so ist Freude und Anstrengung gleich groß. Weiß er nicht gleich zu antworten: so ist es, als ob er nach einer Sache sähe, die in einer großen Entfernung von ihm ist. Bei dem kleinsten Geräusch andrer zeigt er dann eine Art von Unwillen, und mehr als einmal pflegt er durch sein: Still doch! alles rund herum in Ruhe zu bringen, damit er nur jetzt ungestört nachdenken könne. Jrgend etwas weiß er immer zu antworten, und selten ist es etwas ganz Unrichtiges. Seine Aufmerksamkeit ist schlechterdings nicht von der gemeinen und gewöhnlichen Art, sondern immer mit Nachdenken verbunden. Es kommt mir vor, daß er sich selbst schon gewisse Gesetze gemacht habe, wie er seine Kenntnisse vermehren und Wahrheit finden wolle; und das sind diese zwei: bei einigen Dingen Schwierigkeit auf Schwierigkeit zu häufen, um zu sehn, ob sie alle gehoben werden können; und dann: Dinge zu vertheidigen, gleichsam um andre geneigter zu machen, ihre Einwendungen dagegen vorzubringen. Als ich einmal gesagt hatte, daß man auf einem hohen Berge die dunkeln Wolken unter sich habe, und wie durch einen Nebel nach der Erde sehn müsse: so fiel ihm mit einemmale der Gedanke ein, wie man wieder herunterkommen, wie man den Weg wieder finden und vermeiden könne, daß man nicht herunterfalle,


wort hoͤren, sondern zugleich sein Urtheil uͤber die Richtigkeit oder Unrichtigkeit derselben sagen sollte. Wenn er selbst gefragt wird: so ist Freude und Anstrengung gleich groß. Weiß er nicht gleich zu antworten: so ist es, als ob er nach einer Sache saͤhe, die in einer großen Entfernung von ihm ist. Bei dem kleinsten Geraͤusch andrer zeigt er dann eine Art von Unwillen, und mehr als einmal pflegt er durch sein: Still doch! alles rund herum in Ruhe zu bringen, damit er nur jetzt ungestoͤrt nachdenken koͤnne. Jrgend etwas weiß er immer zu antworten, und selten ist es etwas ganz Unrichtiges. Seine Aufmerksamkeit ist schlechterdings nicht von der gemeinen und gewoͤhnlichen Art, sondern immer mit Nachdenken verbunden. Es kommt mir vor, daß er sich selbst schon gewisse Gesetze gemacht habe, wie er seine Kenntnisse vermehren und Wahrheit finden wolle; und das sind diese zwei: bei einigen Dingen Schwierigkeit auf Schwierigkeit zu haͤufen, um zu sehn, ob sie alle gehoben werden koͤnnen; und dann: Dinge zu vertheidigen, gleichsam um andre geneigter zu machen, ihre Einwendungen dagegen vorzubringen. Als ich einmal gesagt hatte, daß man auf einem hohen Berge die dunkeln Wolken unter sich habe, und wie durch einen Nebel nach der Erde sehn muͤsse: so fiel ihm mit einemmale der Gedanke ein, wie man wieder herunterkommen, wie man den Weg wieder finden und vermeiden koͤnne, daß man nicht herunterfalle,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0120" n="120"/><lb/>
wort                         ho&#x0364;ren, sondern zugleich sein Urtheil u&#x0364;ber die Richtigkeit oder Unrichtigkeit                         derselben sagen sollte. Wenn er selbst gefragt wird: so ist Freude und                         Anstrengung gleich groß. Weiß er nicht gleich zu antworten: so ist es, als                         ob er nach einer Sache sa&#x0364;he, die in einer großen Entfernung von ihm ist. Bei                         dem kleinsten Gera&#x0364;usch andrer zeigt er dann eine Art von Unwillen, und mehr                         als einmal pflegt er durch sein: Still doch! alles rund herum in Ruhe zu                         bringen, damit er nur jetzt ungesto&#x0364;rt nachdenken ko&#x0364;nne. Jrgend etwas weiß er                         immer zu antworten, und selten ist es etwas ganz Unrichtiges. Seine                         Aufmerksamkeit ist schlechterdings nicht von der gemeinen und gewo&#x0364;hnlichen                         Art, sondern immer mit Nachdenken verbunden. Es kommt mir vor, daß er sich                         selbst schon gewisse Gesetze gemacht habe, wie er seine Kenntnisse vermehren                         und Wahrheit finden wolle; und das sind diese zwei: bei einigen Dingen                         Schwierigkeit auf Schwierigkeit zu ha&#x0364;ufen, um zu sehn, ob sie alle gehoben                         werden ko&#x0364;nnen; und dann: Dinge zu vertheidigen, gleichsam um andre geneigter                         zu machen, ihre Einwendungen dagegen vorzubringen. Als ich einmal gesagt                         hatte, daß man auf einem hohen Berge die dunkeln Wolken unter sich habe, und                         wie durch einen Nebel nach der Erde sehn mu&#x0364;sse: so fiel ihm mit einemmale                         der Gedanke ein, wie man wieder herunterkommen, wie man den Weg wieder                         finden und vermeiden ko&#x0364;nne, daß man nicht herunterfalle,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0120] wort hoͤren, sondern zugleich sein Urtheil uͤber die Richtigkeit oder Unrichtigkeit derselben sagen sollte. Wenn er selbst gefragt wird: so ist Freude und Anstrengung gleich groß. Weiß er nicht gleich zu antworten: so ist es, als ob er nach einer Sache saͤhe, die in einer großen Entfernung von ihm ist. Bei dem kleinsten Geraͤusch andrer zeigt er dann eine Art von Unwillen, und mehr als einmal pflegt er durch sein: Still doch! alles rund herum in Ruhe zu bringen, damit er nur jetzt ungestoͤrt nachdenken koͤnne. Jrgend etwas weiß er immer zu antworten, und selten ist es etwas ganz Unrichtiges. Seine Aufmerksamkeit ist schlechterdings nicht von der gemeinen und gewoͤhnlichen Art, sondern immer mit Nachdenken verbunden. Es kommt mir vor, daß er sich selbst schon gewisse Gesetze gemacht habe, wie er seine Kenntnisse vermehren und Wahrheit finden wolle; und das sind diese zwei: bei einigen Dingen Schwierigkeit auf Schwierigkeit zu haͤufen, um zu sehn, ob sie alle gehoben werden koͤnnen; und dann: Dinge zu vertheidigen, gleichsam um andre geneigter zu machen, ihre Einwendungen dagegen vorzubringen. Als ich einmal gesagt hatte, daß man auf einem hohen Berge die dunkeln Wolken unter sich habe, und wie durch einen Nebel nach der Erde sehn muͤsse: so fiel ihm mit einemmale der Gedanke ein, wie man wieder herunterkommen, wie man den Weg wieder finden und vermeiden koͤnne, daß man nicht herunterfalle,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/120
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/120>, abgerufen am 10.05.2024.