Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.
Unser ganzes Wissen beruht auf dem genauesten Unterschied zwischen ist und war. Ein und eben dieselbe Sache ist in diesem Augenblick nicht mehr, was sie war, und war nicht das, was sie ist -- ihre Warheit aber kann nur erkannt, die Jstheit kann bloß empfunden werden. Merkwürdig ist es, daß der Engländer sagt: l have been, gleichsam wie, ich habe gebinnt -- und der Deutsche: ich bin gewesen. -- Das bin, welches bei dem Deutschen das gegenwärtige, eigentlich mit Selbstgefühl verknüpfte seyn bezeichnet, drückt im Englischen das völlig vergangne seyn aus, welches wir uns, eben so wie die Zukunft, nicht anders als mittelbar durch die Vorstellung von dem gegenwärtigen seyn denken können; und daher die völlige Vergangenheit, sowohl als die Zukunft, nothwendig immer durch zwei Begriffe ausdrücken müssen -- ich bin gewesen -- ich werde seyn. -- Die Silbe ge in gewesen, bezeichnet, wie wir schon bemerkt haben, das kollektive, zusammengenommne seyn, welches nur völlig vorbei ist, und als ein Ganzes gedacht wird, zu dessen Rückerinnerung wir aber unser gegenwär-
Unser ganzes Wissen beruht auf dem genauesten Unterschied zwischen ist und war. Ein und eben dieselbe Sache ist in diesem Augenblick nicht mehr, was sie war, und war nicht das, was sie ist — ihre Warheit aber kann nur erkannt, die Jstheit kann bloß empfunden werden. Merkwuͤrdig ist es, daß der Englaͤnder sagt: l have been, gleichsam wie, ich habe gebinnt — und der Deutsche: ich bin gewesen. — Das bin, welches bei dem Deutschen das gegenwaͤrtige, eigentlich mit Selbstgefuͤhl verknuͤpfte seyn bezeichnet, druͤckt im Englischen das voͤllig vergangne seyn aus, welches wir uns, eben so wie die Zukunft, nicht anders als mittelbar durch die Vorstellung von dem gegenwaͤrtigen seyn denken koͤnnen; und daher die voͤllige Vergangenheit, sowohl als die Zukunft, nothwendig immer durch zwei Begriffe ausdruͤcken muͤssen — ich bin gewesen — ich werde seyn. — Die Silbe ge in gewesen, bezeichnet, wie wir schon bemerkt haben, das kollektive, zusammengenommne seyn, welches nur voͤllig vorbei ist, und als ein Ganzes gedacht wird, zu dessen Ruͤckerinnerung wir aber unser gegenwaͤr- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0111" n="111"/><lb/> soll: man lege einen ekkichten Koͤrper unter die Finger, und er wird sich unsrem Gefuͤhl nicht verdoppeln. — Die Grenzlinien zwischen dem <hi rendition="#b">ist</hi> und <hi rendition="#b">war</hi> der Beruͤhrung sind hier schaͤrfer, sie koͤnnen sich nicht ineinander verlieren. </p> <p>Unser ganzes Wissen beruht auf dem genauesten Unterschied zwischen <hi rendition="#b">ist</hi> und <hi rendition="#b">war.</hi> Ein und eben dieselbe Sache ist in diesem Augenblick nicht mehr, was sie <hi rendition="#b">war,</hi> und <hi rendition="#b">war</hi> nicht das, was sie <hi rendition="#b">ist</hi> — ihre <hi rendition="#b">Warheit</hi> aber kann nur <hi rendition="#b">erkannt,</hi> die <hi rendition="#b">Jstheit</hi> kann bloß <hi rendition="#b">empfunden</hi> werden. </p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Merkwuͤrdig ist es, daß der Englaͤnder sagt: <hi rendition="#aq">l have been,</hi> gleichsam wie, <hi rendition="#b">ich habe gebinnt</hi> — und der Deutsche: <hi rendition="#b">ich bin gewesen.</hi> — Das <hi rendition="#b">bin,</hi> welches bei dem Deutschen das gegenwaͤrtige, eigentlich mit Selbstgefuͤhl verknuͤpfte <hi rendition="#b">seyn</hi> bezeichnet, druͤckt im Englischen das voͤllig vergangne <hi rendition="#b">seyn</hi> aus, welches wir uns, eben so wie die Zukunft, nicht anders als <hi rendition="#b">mittelbar</hi> durch die Vorstellung von dem gegenwaͤrtigen <hi rendition="#b">seyn</hi> denken koͤnnen; und daher die voͤllige Vergangenheit, sowohl als die Zukunft, nothwendig immer durch zwei Begriffe ausdruͤcken muͤssen <hi rendition="#b">— ich bin gewesen — ich werde seyn. —</hi> Die Silbe <hi rendition="#b">ge</hi> in <hi rendition="#b">gewesen,</hi> bezeichnet, wie wir schon bemerkt haben, das kollektive, zusammengenommne <hi rendition="#b">seyn,</hi> welches nur voͤllig vorbei ist, und als ein Ganzes gedacht wird, zu dessen Ruͤckerinnerung wir aber unser gegenwaͤr-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0111]
soll: man lege einen ekkichten Koͤrper unter die Finger, und er wird sich unsrem Gefuͤhl nicht verdoppeln. — Die Grenzlinien zwischen dem ist und war der Beruͤhrung sind hier schaͤrfer, sie koͤnnen sich nicht ineinander verlieren.
Unser ganzes Wissen beruht auf dem genauesten Unterschied zwischen ist und war. Ein und eben dieselbe Sache ist in diesem Augenblick nicht mehr, was sie war, und war nicht das, was sie ist — ihre Warheit aber kann nur erkannt, die Jstheit kann bloß empfunden werden.
Merkwuͤrdig ist es, daß der Englaͤnder sagt: l have been, gleichsam wie, ich habe gebinnt — und der Deutsche: ich bin gewesen. — Das bin, welches bei dem Deutschen das gegenwaͤrtige, eigentlich mit Selbstgefuͤhl verknuͤpfte seyn bezeichnet, druͤckt im Englischen das voͤllig vergangne seyn aus, welches wir uns, eben so wie die Zukunft, nicht anders als mittelbar durch die Vorstellung von dem gegenwaͤrtigen seyn denken koͤnnen; und daher die voͤllige Vergangenheit, sowohl als die Zukunft, nothwendig immer durch zwei Begriffe ausdruͤcken muͤssen — ich bin gewesen — ich werde seyn. — Die Silbe ge in gewesen, bezeichnet, wie wir schon bemerkt haben, das kollektive, zusammengenommne seyn, welches nur voͤllig vorbei ist, und als ein Ganzes gedacht wird, zu dessen Ruͤckerinnerung wir aber unser gegenwaͤr-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |