Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.
Den Diebstahl und das Lügen verabscheuete dieser Herbst ganz besonders, wie ich überhaupt dieses bei einigen Stummen schon zu bemerken Gelegenheit gehabt habe. Da er oft bei meinen Eltern arbeitete, und er sich bisweilen ungemeldet auf meine Studierstube zu kommen erlaubte, so machte ich allerlei Versuche, seine allgemeine anerkannte Treue zu prüfen; als ich ihn daher einmal kommen hörte, suchte ich mich zu verbergen, nachdem ich vorher Geld auf den Tisch gelegt hatte, um so sein Betragen und seine Treue, ohne daß er es wußte, zu beobachten. Voller Verwunderung, daß die Stube offen und doch niemand zu Hause sei, ging er hin zu dem Tische, nahm das Geld, besah es genau, legte es wieder an seinen Ort -- alsdann zogen einige auf dem Tische liegende Bücher seine ganze Aufmerksamkeit auf sich; er nahm eines nach den andern, blätterte darin und fing bisweilen recht herzlich an zu lachen. Besonders
Den Diebstahl und das Luͤgen verabscheuete dieser Herbst ganz besonders, wie ich uͤberhaupt dieses bei einigen Stummen schon zu bemerken Gelegenheit gehabt habe. Da er oft bei meinen Eltern arbeitete, und er sich bisweilen ungemeldet auf meine Studierstube zu kommen erlaubte, so machte ich allerlei Versuche, seine allgemeine anerkannte Treue zu pruͤfen; als ich ihn daher einmal kommen hoͤrte, suchte ich mich zu verbergen, nachdem ich vorher Geld auf den Tisch gelegt hatte, um so sein Betragen und seine Treue, ohne daß er es wußte, zu beobachten. Voller Verwunderung, daß die Stube offen und doch niemand zu Hause sei, ging er hin zu dem Tische, nahm das Geld, besah es genau, legte es wieder an seinen Ort — alsdann zogen einige auf dem Tische liegende Buͤcher seine ganze Aufmerksamkeit auf sich; er nahm eines nach den andern, blaͤtterte darin und fing bisweilen recht herzlich an zu lachen. Besonders <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0049" n="49"/><lb/> seine Pantomime zu bezeichnen wußte. Nichts war ihm unertraͤglicher, als wenn die ungezogenen Jungen auf der Emporkirche, wo er saß, plauderten, er bewieß dagegen ausserordentlichen Eifer; und als ich einstmals predigte und ein Knabe auch anfing, sich mit seinem Nachbar auf das freundschaftlichste zu unterhalten, so konnte er dem Triebe nicht widerstehen, diesem Schwaͤtzer durch einen Stockschlag recht triftig zu beweisen, daß man nicht in der Kirche plaudern muͤsse. </p> <p>Den Diebstahl und das Luͤgen verabscheuete dieser <hi rendition="#b">Herbst</hi> ganz besonders, wie ich uͤberhaupt dieses bei einigen Stummen schon zu bemerken Gelegenheit gehabt habe. Da er oft bei meinen Eltern arbeitete, und er sich bisweilen ungemeldet auf meine Studierstube zu kommen erlaubte, so machte ich allerlei Versuche, seine allgemeine anerkannte Treue zu pruͤfen; als ich ihn daher einmal kommen hoͤrte, suchte ich mich zu verbergen, nachdem ich vorher Geld auf den Tisch gelegt hatte, um so sein Betragen und seine Treue, ohne daß er es wußte, zu beobachten. Voller Verwunderung, daß die Stube offen und doch niemand zu Hause sei, ging er hin zu dem Tische, nahm das Geld, besah es genau, legte es wieder an seinen Ort — alsdann zogen einige auf dem Tische liegende Buͤcher seine ganze Aufmerksamkeit auf sich; er nahm eines nach den andern, blaͤtterte darin und fing bisweilen recht herzlich an zu lachen. Besonders<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [49/0049]
seine Pantomime zu bezeichnen wußte. Nichts war ihm unertraͤglicher, als wenn die ungezogenen Jungen auf der Emporkirche, wo er saß, plauderten, er bewieß dagegen ausserordentlichen Eifer; und als ich einstmals predigte und ein Knabe auch anfing, sich mit seinem Nachbar auf das freundschaftlichste zu unterhalten, so konnte er dem Triebe nicht widerstehen, diesem Schwaͤtzer durch einen Stockschlag recht triftig zu beweisen, daß man nicht in der Kirche plaudern muͤsse.
Den Diebstahl und das Luͤgen verabscheuete dieser Herbst ganz besonders, wie ich uͤberhaupt dieses bei einigen Stummen schon zu bemerken Gelegenheit gehabt habe. Da er oft bei meinen Eltern arbeitete, und er sich bisweilen ungemeldet auf meine Studierstube zu kommen erlaubte, so machte ich allerlei Versuche, seine allgemeine anerkannte Treue zu pruͤfen; als ich ihn daher einmal kommen hoͤrte, suchte ich mich zu verbergen, nachdem ich vorher Geld auf den Tisch gelegt hatte, um so sein Betragen und seine Treue, ohne daß er es wußte, zu beobachten. Voller Verwunderung, daß die Stube offen und doch niemand zu Hause sei, ging er hin zu dem Tische, nahm das Geld, besah es genau, legte es wieder an seinen Ort — alsdann zogen einige auf dem Tische liegende Buͤcher seine ganze Aufmerksamkeit auf sich; er nahm eines nach den andern, blaͤtterte darin und fing bisweilen recht herzlich an zu lachen. Besonders
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