Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.Nun sagt man aber, gewiß aus einem dunklen Gefühl der eingeschränkten Kraft unsers Denkens, den rechten Gesichtspunkt treffen -- gleichsam, als ob man nur zufälliger Weise darauf stieße, indem man ihn treffen muß, wie etwa der schwarze Punkt in der weißen Scheibe von dem geübten Schützen getroffen wird. -- Worin besteht nun aber diese Kraft, den rechten Gesichtspunkt zu treffen? Der Schütze hat den schwarzen Punkt in der weißen Scheibe schon vor sich -- er hat den Gesichtspunkt schon, es kömmt nur darauf an, daß er diesen Gesichtspunkt unverrückt erhält, damit der Schuß nicht vorbeitreffe. -- Jndem wir aber unsre Jdeen ordnen, so sollen wir den rechten Gesichtspunkt selbst erst finden -- wir nehmen auf gut Glück einen an, und beschreiben aus demselben einen Zirkel -- eine große Anzahl unsrer Jdeen will sich nicht hineinfügen, und fällt außer diesem Zirkel -- wir sehen zwar einige Ordnung und Beziehung in unsern Gedanken -- aber alles will sich nicht in diese Ordnung hineinziehen lassen -- wir wählen daher einen andern Gesichtspunkt, und kommen endlich durch mehrere mißlungne Versuche auf den rechten -- so wie bei einer Art von Rechenexempeln, wo man auch erst durch eine Anzahl möglicher Fälle, die man setzt, das Verlangte herausbringt. -- Wir müssen auf die Weise selbst die Wahrheit gewissermaßen nur Nun sagt man aber, gewiß aus einem dunklen Gefuͤhl der eingeschraͤnkten Kraft unsers Denkens, den rechten Gesichtspunkt treffen — gleichsam, als ob man nur zufaͤlliger Weise darauf stieße, indem man ihn treffen muß, wie etwa der schwarze Punkt in der weißen Scheibe von dem geuͤbten Schuͤtzen getroffen wird. — Worin besteht nun aber diese Kraft, den rechten Gesichtspunkt zu treffen? Der Schuͤtze hat den schwarzen Punkt in der weißen Scheibe schon vor sich — er hat den Gesichtspunkt schon, es koͤmmt nur darauf an, daß er diesen Gesichtspunkt unverruͤckt erhaͤlt, damit der Schuß nicht vorbeitreffe. — Jndem wir aber unsre Jdeen ordnen, so sollen wir den rechten Gesichtspunkt selbst erst finden — wir nehmen auf gut Gluͤck einen an, und beschreiben aus demselben einen Zirkel — eine große Anzahl unsrer Jdeen will sich nicht hineinfuͤgen, und faͤllt außer diesem Zirkel — wir sehen zwar einige Ordnung und Beziehung in unsern Gedanken — aber alles will sich nicht in diese Ordnung hineinziehen lassen — wir waͤhlen daher einen andern Gesichtspunkt, und kommen endlich durch mehrere mißlungne Versuche auf den rechten — so wie bei einer Art von Rechenexempeln, wo man auch erst durch eine Anzahl moͤglicher Faͤlle, die man setzt, das Verlangte herausbringt. — Wir muͤssen auf die Weise selbst die Wahrheit gewissermaßen nur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0017" n="17"/><lb/> <p>Nun sagt man aber, gewiß aus einem dunklen Gefuͤhl der eingeschraͤnkten Kraft unsers Denkens, <hi rendition="#b">den rechten Gesichtspunkt treffen</hi> — gleichsam, als ob man nur <hi rendition="#b">zufaͤlliger Weise</hi> darauf stieße, indem man ihn <hi rendition="#b">treffen</hi> muß, wie etwa der schwarze Punkt in der weißen Scheibe von dem geuͤbten Schuͤtzen getroffen wird. — </p> <p>Worin besteht nun aber diese Kraft, den rechten Gesichtspunkt zu treffen? </p> <p>Der Schuͤtze hat den schwarzen Punkt in der weißen Scheibe schon vor sich — er hat den Gesichtspunkt schon, es koͤmmt nur darauf an, daß er diesen Gesichtspunkt unverruͤckt erhaͤlt, damit der Schuß nicht vorbeitreffe. — </p> <p>Jndem wir aber unsre Jdeen ordnen, so sollen wir den rechten Gesichtspunkt selbst erst finden — wir nehmen auf gut Gluͤck einen an, und beschreiben aus demselben einen Zirkel — eine große Anzahl unsrer Jdeen will sich nicht hineinfuͤgen, und faͤllt außer diesem Zirkel — wir sehen zwar einige Ordnung und Beziehung in unsern Gedanken — aber <hi rendition="#b">alles</hi> will sich nicht in diese Ordnung hineinziehen lassen — wir waͤhlen daher einen andern Gesichtspunkt, und kommen endlich durch mehrere mißlungne Versuche auf den rechten — so wie bei einer Art von Rechenexempeln, wo man auch erst durch eine Anzahl moͤglicher Faͤlle, die man setzt, das Verlangte herausbringt. — Wir muͤssen auf die Weise selbst die Wahrheit gewissermaßen nur<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [17/0017]
Nun sagt man aber, gewiß aus einem dunklen Gefuͤhl der eingeschraͤnkten Kraft unsers Denkens, den rechten Gesichtspunkt treffen — gleichsam, als ob man nur zufaͤlliger Weise darauf stieße, indem man ihn treffen muß, wie etwa der schwarze Punkt in der weißen Scheibe von dem geuͤbten Schuͤtzen getroffen wird. —
Worin besteht nun aber diese Kraft, den rechten Gesichtspunkt zu treffen?
Der Schuͤtze hat den schwarzen Punkt in der weißen Scheibe schon vor sich — er hat den Gesichtspunkt schon, es koͤmmt nur darauf an, daß er diesen Gesichtspunkt unverruͤckt erhaͤlt, damit der Schuß nicht vorbeitreffe. —
Jndem wir aber unsre Jdeen ordnen, so sollen wir den rechten Gesichtspunkt selbst erst finden — wir nehmen auf gut Gluͤck einen an, und beschreiben aus demselben einen Zirkel — eine große Anzahl unsrer Jdeen will sich nicht hineinfuͤgen, und faͤllt außer diesem Zirkel — wir sehen zwar einige Ordnung und Beziehung in unsern Gedanken — aber alles will sich nicht in diese Ordnung hineinziehen lassen — wir waͤhlen daher einen andern Gesichtspunkt, und kommen endlich durch mehrere mißlungne Versuche auf den rechten — so wie bei einer Art von Rechenexempeln, wo man auch erst durch eine Anzahl moͤglicher Faͤlle, die man setzt, das Verlangte herausbringt. — Wir muͤssen auf die Weise selbst die Wahrheit gewissermaßen nur
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/17 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/17>, abgerufen am 17.07.2024. |