Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite


Episteln, nebst dem ganzen Catechismus, und den Bußpsalmen auswendig hersagen konnte. Für den Geschicktesten wurde der gehalten, welcher überdem noch ein halbhundert Gesänge auswendig wußte. Dieses Auswendiglernen geschahe gemeiniglich laut. Eins von den Kindern betete vor, und alle schrien una voce nach, welches in einem sonderbaren singenden Tone geschah. --

Nach einem drei- bis vierstündigen Schulzwange, wobei die Kinder oft keinen einzigen deutlichen Begrif gefaßt, die Zeit mit unnützen Auswendiglernen zugebracht hatten, und mancher braun und blau geschlagen war, wurde ein Schlußlied in der Manier des Morgengesanges gesungen, welches gemeiniglich aber noch geräuschvoller war, weil die Freude über den Beschluß die jauchzende Kehle der Kinder füllte. Schack erinnerte sich immer noch mit Vergnügen an dieses Schlußlied. Er gab seine Stimme dazu, ohne daß er etwas von dem Gesungenen verstand, und sein Herz pochte je mehr, je näher man dem Ende des Liedes kam, welches ihn auf ein paar Stunden von dem Kerker der Schule befreite; -- aber zu Schacks großem Verdrusse hatte denn bisweilen die Schule noch nicht ihr Ende erreicht, indem es dem Schulmeister noch oft im Kopf kam, ein Gebet aus dem Herzen zu beten, wozu ihn der Jnspektor Frosch zuerst aufgemuntert hatte. Nach und nach hatte sich P** eine solche Fertigkeit im Beten aus dem Herzen er-


Episteln, nebst dem ganzen Catechismus, und den Bußpsalmen auswendig hersagen konnte. Fuͤr den Geschicktesten wurde der gehalten, welcher uͤberdem noch ein halbhundert Gesaͤnge auswendig wußte. Dieses Auswendiglernen geschahe gemeiniglich laut. Eins von den Kindern betete vor, und alle schrien una voce nach, welches in einem sonderbaren singenden Tone geschah. —

Nach einem drei- bis vierstuͤndigen Schulzwange, wobei die Kinder oft keinen einzigen deutlichen Begrif gefaßt, die Zeit mit unnuͤtzen Auswendiglernen zugebracht hatten, und mancher braun und blau geschlagen war, wurde ein Schlußlied in der Manier des Morgengesanges gesungen, welches gemeiniglich aber noch geraͤuschvoller war, weil die Freude uͤber den Beschluß die jauchzende Kehle der Kinder fuͤllte. Schack erinnerte sich immer noch mit Vergnuͤgen an dieses Schlußlied. Er gab seine Stimme dazu, ohne daß er etwas von dem Gesungenen verstand, und sein Herz pochte je mehr, je naͤher man dem Ende des Liedes kam, welches ihn auf ein paar Stunden von dem Kerker der Schule befreite; — aber zu Schacks großem Verdrusse hatte denn bisweilen die Schule noch nicht ihr Ende erreicht, indem es dem Schulmeister noch oft im Kopf kam, ein Gebet aus dem Herzen zu beten, wozu ihn der Jnspektor Frosch zuerst aufgemuntert hatte. Nach und nach hatte sich P** eine solche Fertigkeit im Beten aus dem Herzen er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0125" n="125"/><lb/>
Episteln, nebst dem ganzen                   Catechismus, und den Bußpsalmen auswendig hersagen konnte. Fu&#x0364;r den Geschicktesten                   wurde der gehalten, welcher u&#x0364;berdem noch ein halbhundert Gesa&#x0364;nge auswendig wußte.                   Dieses Auswendiglernen geschahe gemeiniglich laut. Eins von den Kindern betete                   vor, und alle schrien <hi rendition="#b">una voce</hi> nach, welches in einem                   sonderbaren singenden Tone geschah. &#x2014; </p>
              <p>Nach einem drei- bis vierstu&#x0364;ndigen Schulzwange, wobei die Kinder oft keinen                   einzigen deutlichen Begrif gefaßt, die Zeit mit unnu&#x0364;tzen Auswendiglernen                   zugebracht hatten, und mancher braun und blau geschlagen war, wurde ein Schlußlied                   in der Manier des Morgengesanges gesungen, welches gemeiniglich aber noch                   gera&#x0364;uschvoller war, weil die Freude u&#x0364;ber den Beschluß die jauchzende Kehle der                   Kinder fu&#x0364;llte. Schack erinnerte sich immer noch mit Vergnu&#x0364;gen an dieses                   Schlußlied. Er gab seine Stimme dazu, ohne daß er etwas von dem Gesungenen                   verstand, und sein Herz pochte je mehr, je na&#x0364;her man dem Ende des Liedes kam,                   welches ihn auf ein paar Stunden von dem Kerker der Schule befreite; &#x2014; aber zu                   Schacks großem Verdrusse hatte denn bisweilen die Schule noch nicht ihr Ende                   erreicht, indem es dem Schulmeister noch oft im Kopf kam, ein Gebet aus dem Herzen                   zu beten, wozu ihn der Jnspektor Frosch zuerst aufgemuntert hatte. Nach und nach                   hatte sich <hi rendition="#b">P**</hi> eine solche Fertigkeit im Beten aus dem                   Herzen er-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0125] Episteln, nebst dem ganzen Catechismus, und den Bußpsalmen auswendig hersagen konnte. Fuͤr den Geschicktesten wurde der gehalten, welcher uͤberdem noch ein halbhundert Gesaͤnge auswendig wußte. Dieses Auswendiglernen geschahe gemeiniglich laut. Eins von den Kindern betete vor, und alle schrien una voce nach, welches in einem sonderbaren singenden Tone geschah. — Nach einem drei- bis vierstuͤndigen Schulzwange, wobei die Kinder oft keinen einzigen deutlichen Begrif gefaßt, die Zeit mit unnuͤtzen Auswendiglernen zugebracht hatten, und mancher braun und blau geschlagen war, wurde ein Schlußlied in der Manier des Morgengesanges gesungen, welches gemeiniglich aber noch geraͤuschvoller war, weil die Freude uͤber den Beschluß die jauchzende Kehle der Kinder fuͤllte. Schack erinnerte sich immer noch mit Vergnuͤgen an dieses Schlußlied. Er gab seine Stimme dazu, ohne daß er etwas von dem Gesungenen verstand, und sein Herz pochte je mehr, je naͤher man dem Ende des Liedes kam, welches ihn auf ein paar Stunden von dem Kerker der Schule befreite; — aber zu Schacks großem Verdrusse hatte denn bisweilen die Schule noch nicht ihr Ende erreicht, indem es dem Schulmeister noch oft im Kopf kam, ein Gebet aus dem Herzen zu beten, wozu ihn der Jnspektor Frosch zuerst aufgemuntert hatte. Nach und nach hatte sich P** eine solche Fertigkeit im Beten aus dem Herzen er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/125
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/125>, abgerufen am 01.05.2024.