Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0124" n="124"/><lb/> ster gerufen, um seine Lektion aufzusagen. Jedes brachte zu dem Behuf einen hoͤlzernen sogenannten Griffel mit, wodurch es jede laut auszusprechende Silbe bezeichnen mußte, indem die andern Kinder die nehmliche Silbe nachriefen. Dieses laute und deutliche Abrufen der Silben, welches ohnedem noch oft wiederhohlt wurde, hatte offenbar den Nutzen, daß sie sich dem Gedaͤchtnisse des Kindes leicht imprimirten, und ihm also das Zusammensetzen der Silben zu ganzen Woͤrtern, oder das eigentliche Lesen viel leichter werden mußte. Diese einfache Methode, buchstabiren und lesen zu lernen, welche freilich nur in der Gesellschaft mehrerer Kinder, und durch den, bei allem Unterricht so nothwendigen, wenn auch nur mechanischen Trieb der Emulation anwendbar gemacht werden kann, hat viele Vorzuͤge vor so vielen neuern Methoden, wodurch man den Kindern auf eine spielende Art das Lesen beizubringen sucht. Jch habe bemerkt, daß Kinder auf dem Lande, welche nach jener Methode unterrichtet werden, bei ganz mittelmaͤßigem Fleiß fruͤher und richtiger zu lesen anfangen, als Kinder in vornehmen Haͤusern, bei denen man oft Jahre mit den mancherlei Lesemethoden verschwendet, — und doch nichts ausrichtet. Der uͤbrige Theil der Zeit wurde mit Auswendiglernen biblischer Stellen, oder des Catechismus zugebracht. Eher hielt man ein Kind nicht fuͤr faͤhig, die Schule ganz zu verlassen, bevor es nicht die Sonntagsevangelien und<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [124/0124]
ster gerufen, um seine Lektion aufzusagen. Jedes brachte zu dem Behuf einen hoͤlzernen sogenannten Griffel mit, wodurch es jede laut auszusprechende Silbe bezeichnen mußte, indem die andern Kinder die nehmliche Silbe nachriefen. Dieses laute und deutliche Abrufen der Silben, welches ohnedem noch oft wiederhohlt wurde, hatte offenbar den Nutzen, daß sie sich dem Gedaͤchtnisse des Kindes leicht imprimirten, und ihm also das Zusammensetzen der Silben zu ganzen Woͤrtern, oder das eigentliche Lesen viel leichter werden mußte. Diese einfache Methode, buchstabiren und lesen zu lernen, welche freilich nur in der Gesellschaft mehrerer Kinder, und durch den, bei allem Unterricht so nothwendigen, wenn auch nur mechanischen Trieb der Emulation anwendbar gemacht werden kann, hat viele Vorzuͤge vor so vielen neuern Methoden, wodurch man den Kindern auf eine spielende Art das Lesen beizubringen sucht. Jch habe bemerkt, daß Kinder auf dem Lande, welche nach jener Methode unterrichtet werden, bei ganz mittelmaͤßigem Fleiß fruͤher und richtiger zu lesen anfangen, als Kinder in vornehmen Haͤusern, bei denen man oft Jahre mit den mancherlei Lesemethoden verschwendet, — und doch nichts ausrichtet. Der uͤbrige Theil der Zeit wurde mit Auswendiglernen biblischer Stellen, oder des Catechismus zugebracht. Eher hielt man ein Kind nicht fuͤr faͤhig, die Schule ganz zu verlassen, bevor es nicht die Sonntagsevangelien und
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