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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

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machte, indem er seine Wolke an einem abgebrochenen Weidenstamm zu ihrer Ausbesserung aufhing. Fluur stand jetzt in der possierlichsten Figur von der Welt, im kahlen Kopfe, mit Mantel und Kragen vor seinem ungekünstelten Putztisch, und gab sich alle ersinnliche Mühe, die parallele Lage seiner Locken, welche unterwegs wirklich gelitten hatten, wieder herzustellen. Die Liebe, welche von jeher eine Tausendkünstlerin gewesen seyn soll, schien seine Finger dabei zu beflügeln; ein Puderregen, den er über sie hergoß, gab ihnen bald ihre vorige Weiße wieder, und nach einer halbstündigen Arbeit stand sie zu seiner unaussprechlichen Freude von neuem in ihrem ersten Urglanze da. --

Fluur ahndete nicht, daß ihn sein Mädchen hinter einem Strauche bei seiner sonderbaren Toilette beobachtet hatte; noch weniger konnte er vermuthen, daß dieser Anstand vielleicht allein einen für ihn sehr vortheilhaften Eindruck auf ihr Herz machen würde, -- und doch verhielt sichs wirklich so. Sophie hatte grade an dem Tage einen Spaziergang von ohngefähr nach dem Wäldchen gemacht, sie hatte in der Ferne einen Mann in einer sonderbaren Attitüde darin erblickt, und war neugierig genug gewesen, das wunderliche Geschöpf näher kennen zu lernen. Sie erkannte bald zu ihrem größten Erstaunen ihren Liebhaber; allein sie konnte sich nicht enthalten, herzlich über ihn zu lachen. Mit dieser Empfindung, welche oft so son-


machte, indem er seine Wolke an einem abgebrochenen Weidenstamm zu ihrer Ausbesserung aufhing. Fluur stand jetzt in der possierlichsten Figur von der Welt, im kahlen Kopfe, mit Mantel und Kragen vor seinem ungekuͤnstelten Putztisch, und gab sich alle ersinnliche Muͤhe, die parallele Lage seiner Locken, welche unterwegs wirklich gelitten hatten, wieder herzustellen. Die Liebe, welche von jeher eine Tausendkuͤnstlerin gewesen seyn soll, schien seine Finger dabei zu befluͤgeln; ein Puderregen, den er uͤber sie hergoß, gab ihnen bald ihre vorige Weiße wieder, und nach einer halbstuͤndigen Arbeit stand sie zu seiner unaussprechlichen Freude von neuem in ihrem ersten Urglanze da. —

Fluur ahndete nicht, daß ihn sein Maͤdchen hinter einem Strauche bei seiner sonderbaren Toilette beobachtet hatte; noch weniger konnte er vermuthen, daß dieser Anstand vielleicht allein einen fuͤr ihn sehr vortheilhaften Eindruck auf ihr Herz machen wuͤrde, — und doch verhielt sichs wirklich so. Sophie hatte grade an dem Tage einen Spaziergang von ohngefaͤhr nach dem Waͤldchen gemacht, sie hatte in der Ferne einen Mann in einer sonderbaren Attituͤde darin erblickt, und war neugierig genug gewesen, das wunderliche Geschoͤpf naͤher kennen zu lernen. Sie erkannte bald zu ihrem groͤßten Erstaunen ihren Liebhaber; allein sie konnte sich nicht enthalten, herzlich uͤber ihn zu lachen. Mit dieser Empfindung, welche oft so son-

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[103/0103] machte, indem er seine Wolke an einem abgebrochenen Weidenstamm zu ihrer Ausbesserung aufhing. Fluur stand jetzt in der possierlichsten Figur von der Welt, im kahlen Kopfe, mit Mantel und Kragen vor seinem ungekuͤnstelten Putztisch, und gab sich alle ersinnliche Muͤhe, die parallele Lage seiner Locken, welche unterwegs wirklich gelitten hatten, wieder herzustellen. Die Liebe, welche von jeher eine Tausendkuͤnstlerin gewesen seyn soll, schien seine Finger dabei zu befluͤgeln; ein Puderregen, den er uͤber sie hergoß, gab ihnen bald ihre vorige Weiße wieder, und nach einer halbstuͤndigen Arbeit stand sie zu seiner unaussprechlichen Freude von neuem in ihrem ersten Urglanze da. — Fluur ahndete nicht, daß ihn sein Maͤdchen hinter einem Strauche bei seiner sonderbaren Toilette beobachtet hatte; noch weniger konnte er vermuthen, daß dieser Anstand vielleicht allein einen fuͤr ihn sehr vortheilhaften Eindruck auf ihr Herz machen wuͤrde, — und doch verhielt sichs wirklich so. Sophie hatte grade an dem Tage einen Spaziergang von ohngefaͤhr nach dem Waͤldchen gemacht, sie hatte in der Ferne einen Mann in einer sonderbaren Attituͤde darin erblickt, und war neugierig genug gewesen, das wunderliche Geschoͤpf naͤher kennen zu lernen. Sie erkannte bald zu ihrem groͤßten Erstaunen ihren Liebhaber; allein sie konnte sich nicht enthalten, herzlich uͤber ihn zu lachen. Mit dieser Empfindung, welche oft so son-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/103>, abgerufen am 22.11.2024.