Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite


und bleibt zwar indifferent zu gutem und bösem Rufe; und Livius unterscheidet sogar im 6sten Buche bei dem Marcus Manlius, famam magnam und bonam; und doch heißt infamis eigentlich, ohne Ruf, der einen schlechten Ruf hat; und im Gegentheile famosus, übel berüchtigt; daher libelli famosi, Schmähschriften. Wie willkührlich! Bei dem oben erwähnten Worte Wahn, Wähnen, erlauben Sie mir noch eine kleine Sprachanekdote, die zu dieser Sache eben nicht gehört, aber an sich nicht uneben, und einem Wortforscher wohl zu vergönnen ist: Navita de ventis, de bobus narrat (garrit) arator. Jn dem alten Originale oder itzt umgearbeiteten Syrischen Aramena, (womit dem Recensenten in der A. D. Bibl. der es nicht gesehn hat, allenfalls, gegen Sicherheit der Rücksendung, durch mich gedient werden könnte, finde ich immer gedruckt, Argwahn, nicht Argwohn; jenes ist gewiß recht, ein arger Wahn; was soll hier wohnen heissen. Jndessen mag ich doch nicht so schreiben; lieber mit allen falsch in Dingen, die nicht Sünde oder schädlich sind, als allem recht.

Dies ist quaestio facti; so reden, so denken wir, nicht blos der Deutsche, sondern der Mensch (der Unterschied der Sprachen könnte eine Psychologie der Völker schon instruiren.) Aber warum? Jch glaube daher, weil die Worte gemacht sind, die eigentliche, völlige, vollkommne Sache


und bleibt zwar indifferent zu gutem und boͤsem Rufe; und Livius unterscheidet sogar im 6sten Buche bei dem Marcus Manlius, famam magnam und bonam; und doch heißt infamis eigentlich, ohne Ruf, der einen schlechten Ruf hat; und im Gegentheile famosus, uͤbel beruͤchtigt; daher libelli famosi, Schmaͤhschriften. Wie willkuͤhrlich! Bei dem oben erwaͤhnten Worte Wahn, Waͤhnen, erlauben Sie mir noch eine kleine Sprachanekdote, die zu dieser Sache eben nicht gehoͤrt, aber an sich nicht uneben, und einem Wortforscher wohl zu vergoͤnnen ist: Navita de ventis, de bobus narrat (garrit) arator. Jn dem alten Originale oder itzt umgearbeiteten Syrischen Aramena, (womit dem Recensenten in der A. D. Bibl. der es nicht gesehn hat, allenfalls, gegen Sicherheit der Ruͤcksendung, durch mich gedient werden koͤnnte, finde ich immer gedruckt, Argwahn, nicht Argwohn; jenes ist gewiß recht, ein arger Wahn; was soll hier wohnen heissen. Jndessen mag ich doch nicht so schreiben; lieber mit allen falsch in Dingen, die nicht Suͤnde oder schaͤdlich sind, als allem recht.

Dies ist quaestio facti; so reden, so denken wir, nicht blos der Deutsche, sondern der Mensch (der Unterschied der Sprachen koͤnnte eine Psychologie der Voͤlker schon instruiren.) Aber warum? Jch glaube daher, weil die Worte gemacht sind, die eigentliche, voͤllige, vollkommne Sache

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0065" n="63"/><lb/>
und bleibt zwar indifferent zu gutem und bo&#x0364;sem Rufe; und Livius unterscheidet                   sogar im 6sten Buche bei dem Marcus Manlius, <hi rendition="#aq">famam                      magnam</hi> und <hi rendition="#aq">bonam;</hi> und doch heißt <hi rendition="#aq">infamis</hi> eigentlich, ohne Ruf, der einen <hi rendition="#b">schlechten</hi> Ruf hat; und im Gegentheile <hi rendition="#aq">famosus,</hi> u&#x0364;bel beru&#x0364;chtigt; daher <hi rendition="#aq">libelli                      famosi,</hi> Schma&#x0364;hschriften. Wie willku&#x0364;hrlich! Bei dem oben erwa&#x0364;hnten Worte <hi rendition="#b">Wahn, Wa&#x0364;hnen,</hi> erlauben Sie mir noch eine kleine                   Sprachanekdote, die zu dieser Sache eben nicht geho&#x0364;rt, aber an sich nicht uneben,                   und einem Wortforscher wohl zu vergo&#x0364;nnen ist: <hi rendition="#aq">Navita de                      ventis, de bobus narrat (garrit) arator.</hi> Jn dem alten Originale oder                   itzt umgearbeiteten Syrischen Aramena, (womit dem Recensenten in der A. D. Bibl.                   der es nicht gesehn hat, allenfalls, gegen Sicherheit der Ru&#x0364;cksendung, durch mich                   gedient werden ko&#x0364;nnte, finde ich immer gedruckt, <hi rendition="#b">Argwahn,</hi> nicht <hi rendition="#b">Argwohn;</hi> jenes ist gewiß recht, ein arger <hi rendition="#b">Wahn;</hi> was soll hier <hi rendition="#b">wohnen</hi> heissen.                   Jndessen mag ich doch nicht so schreiben; lieber mit allen falsch in Dingen, die                   nicht Su&#x0364;nde oder scha&#x0364;dlich sind, als allem recht.</p>
          <p>Dies ist <hi rendition="#aq">quaestio facti;</hi> so reden, so denken wir,                   nicht blos der Deutsche, sondern der <hi rendition="#b">Mensch</hi> (der                   Unterschied der Sprachen ko&#x0364;nnte eine Psychologie der <hi rendition="#b">Vo&#x0364;lker</hi> schon instruiren.) Aber warum? Jch glaube daher, <choice><corr>weil</corr><sic>weil, weil</sic></choice> die Worte                   gemacht sind, die eigentliche, vo&#x0364;llige, vollkommne Sache<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0065] und bleibt zwar indifferent zu gutem und boͤsem Rufe; und Livius unterscheidet sogar im 6sten Buche bei dem Marcus Manlius, famam magnam und bonam; und doch heißt infamis eigentlich, ohne Ruf, der einen schlechten Ruf hat; und im Gegentheile famosus, uͤbel beruͤchtigt; daher libelli famosi, Schmaͤhschriften. Wie willkuͤhrlich! Bei dem oben erwaͤhnten Worte Wahn, Waͤhnen, erlauben Sie mir noch eine kleine Sprachanekdote, die zu dieser Sache eben nicht gehoͤrt, aber an sich nicht uneben, und einem Wortforscher wohl zu vergoͤnnen ist: Navita de ventis, de bobus narrat (garrit) arator. Jn dem alten Originale oder itzt umgearbeiteten Syrischen Aramena, (womit dem Recensenten in der A. D. Bibl. der es nicht gesehn hat, allenfalls, gegen Sicherheit der Ruͤcksendung, durch mich gedient werden koͤnnte, finde ich immer gedruckt, Argwahn, nicht Argwohn; jenes ist gewiß recht, ein arger Wahn; was soll hier wohnen heissen. Jndessen mag ich doch nicht so schreiben; lieber mit allen falsch in Dingen, die nicht Suͤnde oder schaͤdlich sind, als allem recht. Dies ist quaestio facti; so reden, so denken wir, nicht blos der Deutsche, sondern der Mensch (der Unterschied der Sprachen koͤnnte eine Psychologie der Voͤlker schon instruiren.) Aber warum? Jch glaube daher, weil die Worte gemacht sind, die eigentliche, voͤllige, vollkommne Sache

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/65
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/65>, abgerufen am 02.05.2024.