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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.

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Jm zweiten Stück des ersten Bandes pag. 101 steht ein Aufsatz über die Präpositionen, welche ebenfalls vielen Stof zum Nachdenken über die Seele geben, ob es gleich beim ersten Anblick nicht so scheint. Denn da sie alle von körperlichen Verhältnissen hergenommen sind, so sollte man glauben, daß sie in Ansehung der Seele nur wenig bezeichnen könnten.

Allein da die Aufmerksamkeit der Menschen ehr auf das Körperliche als auf das Unkörperliche fiel, so wurde jenes auch natürlicher Weise zuerst benannt, und nachher bediente man sich derselben Benennungen im figürlichen oder metaphorischen Sinne, um auch das Unkörperliche zu bezeichnen.

Wir müssen daher, so oft wir uns über etwas Unkörperliches ausdrücken wollen, beständig in Metaphern reden. Denn selbst das Wort denken ist wahrscheinlicher zuerst eine Benennung von etwas Körperlichen gewesen, ob wir gleich itzt uns nichts körperliches mehr dabei denken. -- Das lateinische Cogitare scheint aus dem Begriff des gewaltsamen Zusammenzwängens entstanden zu seyn, wovon man etwas ähnliches beim angestrengten Denken im Gehirn empfindet.

Vorstellung ist ein völliger metaphorischer Ausdruck: wir stellen die Sache gleichsam vor uns hin, um sie mit Muße betrachten zu können. Der Lateiner sagt mit einer philosophischem Benen-


Jm zweiten Stuͤck des ersten Bandes pag. 101 steht ein Aufsatz uͤber die Praͤpositionen, welche ebenfalls vielen Stof zum Nachdenken uͤber die Seele geben, ob es gleich beim ersten Anblick nicht so scheint. Denn da sie alle von koͤrperlichen Verhaͤltnissen hergenommen sind, so sollte man glauben, daß sie in Ansehung der Seele nur wenig bezeichnen koͤnnten.

Allein da die Aufmerksamkeit der Menschen ehr auf das Koͤrperliche als auf das Unkoͤrperliche fiel, so wurde jenes auch natuͤrlicher Weise zuerst benannt, und nachher bediente man sich derselben Benennungen im figuͤrlichen oder metaphorischen Sinne, um auch das Unkoͤrperliche zu bezeichnen.

Wir muͤssen daher, so oft wir uns uͤber etwas Unkoͤrperliches ausdruͤcken wollen, bestaͤndig in Metaphern reden. Denn selbst das Wort denken ist wahrscheinlicher zuerst eine Benennung von etwas Koͤrperlichen gewesen, ob wir gleich itzt uns nichts koͤrperliches mehr dabei denken. — Das lateinische Cogitare scheint aus dem Begriff des gewaltsamen Zusammenzwaͤngens entstanden zu seyn, wovon man etwas aͤhnliches beim angestrengten Denken im Gehirn empfindet.

Vorstellung ist ein voͤlliger metaphorischer Ausdruck: wir stellen die Sache gleichsam vor uns hin, um sie mit Muße betrachten zu koͤnnen. Der Lateiner sagt mit einer philosophischem Benen-

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[47/0049] Jm zweiten Stuͤck des ersten Bandes pag. 101 steht ein Aufsatz uͤber die Praͤpositionen, welche ebenfalls vielen Stof zum Nachdenken uͤber die Seele geben, ob es gleich beim ersten Anblick nicht so scheint. Denn da sie alle von koͤrperlichen Verhaͤltnissen hergenommen sind, so sollte man glauben, daß sie in Ansehung der Seele nur wenig bezeichnen koͤnnten. Allein da die Aufmerksamkeit der Menschen ehr auf das Koͤrperliche als auf das Unkoͤrperliche fiel, so wurde jenes auch natuͤrlicher Weise zuerst benannt, und nachher bediente man sich derselben Benennungen im figuͤrlichen oder metaphorischen Sinne, um auch das Unkoͤrperliche zu bezeichnen. Wir muͤssen daher, so oft wir uns uͤber etwas Unkoͤrperliches ausdruͤcken wollen, bestaͤndig in Metaphern reden. Denn selbst das Wort denken ist wahrscheinlicher zuerst eine Benennung von etwas Koͤrperlichen gewesen, ob wir gleich itzt uns nichts koͤrperliches mehr dabei denken. — Das lateinische Cogitare scheint aus dem Begriff des gewaltsamen Zusammenzwaͤngens entstanden zu seyn, wovon man etwas aͤhnliches beim angestrengten Denken im Gehirn empfindet. Vorstellung ist ein voͤlliger metaphorischer Ausdruck: wir stellen die Sache gleichsam vor uns hin, um sie mit Muße betrachten zu koͤnnen. Der Lateiner sagt mit einer philosophischem Benen-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/49>, abgerufen am 27.04.2024.