Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.Fürs erste kann man nicht sagen, daß sie genau eintraf, denn sie ging, wie es bei vielen Menschen geschiehet, auf sehr etwas Allgemeines und Unbestimmtes, auf einen nahe bevorstehenden Tod -- die Art des Todes und die eigentliche Zeit desselben war auf keine Weise in dieser Ahndung mit begriffen. Und nun ein paar Worte über das Eintreffen der Ahndung! -- Ein Mensch, der seit einigen Wochen mit nichts, als dem Gedanken eines nahen Todes umgeht; der übrigens in seinem Körper noch keine Spur einer eigentlichen Krankheit bemerkt; der also seinen ihm so nahe bevorstehenden Tod nothwendig von einer äußern Ursache erwarten muß; dem also in jeder kleinen Gefahr, die ihm droht, das Bild des nahen Todes vorschwebt, kann der wohl bei irgend einer Gefahr Gegenwart des Geistes genug behalten, um sich gehörig dabei zu nehmen? wird er nicht vielmehr, da er doch nun einmal glaubt, es sey sein Schicksal jetzt zu sterben, sich lieber ohne alles Widerstreben in den Abgrund hinabziehen lassen, dem er doch nun einmal nicht glaubt entgehen zu können, und vor dem die Furcht noch schrecklicher, als das Schreckliche selber ist? -- Auf diesen Umstand sollte man aufmerksamer seyn, und man würde vielleicht finden, daß traurige Ahndungen, die man sich in den Kopf gesetzt hat, weit öfter Ursachen als Vorbedeutungen des Todes sind. Fuͤrs erste kann man nicht sagen, daß sie genau eintraf, denn sie ging, wie es bei vielen Menschen geschiehet, auf sehr etwas Allgemeines und Unbestimmtes, auf einen nahe bevorstehenden Tod — die Art des Todes und die eigentliche Zeit desselben war auf keine Weise in dieser Ahndung mit begriffen. Und nun ein paar Worte uͤber das Eintreffen der Ahndung! — Ein Mensch, der seit einigen Wochen mit nichts, als dem Gedanken eines nahen Todes umgeht; der uͤbrigens in seinem Koͤrper noch keine Spur einer eigentlichen Krankheit bemerkt; der also seinen ihm so nahe bevorstehenden Tod nothwendig von einer aͤußern Ursache erwarten muß; dem also in jeder kleinen Gefahr, die ihm droht, das Bild des nahen Todes vorschwebt, kann der wohl bei irgend einer Gefahr Gegenwart des Geistes genug behalten, um sich gehoͤrig dabei zu nehmen? wird er nicht vielmehr, da er doch nun einmal glaubt, es sey sein Schicksal jetzt zu sterben, sich lieber ohne alles Widerstreben in den Abgrund hinabziehen lassen, dem er doch nun einmal nicht glaubt entgehen zu koͤnnen, und vor dem die Furcht noch schrecklicher, als das Schreckliche selber ist? — Auf diesen Umstand sollte man aufmerksamer seyn, und man wuͤrde vielleicht finden, daß traurige Ahndungen, die man sich in den Kopf gesetzt hat, weit oͤfter Ursachen als Vorbedeutungen des Todes sind. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0022" n="20"/><lb/> <p>Fuͤrs erste kann man nicht sagen, daß sie genau eintraf, denn sie ging, wie es bei vielen Menschen geschiehet, auf sehr etwas Allgemeines und Unbestimmtes, auf einen nahe bevorstehenden Tod — die Art des Todes und die eigentliche Zeit desselben war auf keine Weise in dieser Ahndung mit begriffen. </p> <p>Und nun ein paar Worte uͤber das Eintreffen der Ahndung! — Ein Mensch, der seit einigen Wochen mit nichts, als dem Gedanken eines nahen Todes umgeht; der uͤbrigens in seinem Koͤrper noch keine Spur einer eigentlichen Krankheit bemerkt; der also seinen ihm so nahe bevorstehenden Tod nothwendig von einer <hi rendition="#b">aͤußern</hi> Ursache erwarten muß; dem also in jeder kleinen Gefahr, die ihm droht, das Bild des nahen Todes vorschwebt, kann der wohl bei irgend einer Gefahr Gegenwart des Geistes genug behalten, um sich gehoͤrig dabei zu nehmen? wird er nicht vielmehr, da er doch nun einmal glaubt, es sey sein Schicksal jetzt zu sterben, sich lieber ohne alles Widerstreben in den Abgrund hinabziehen lassen, dem er doch nun einmal nicht glaubt entgehen zu koͤnnen, und vor dem die Furcht noch schrecklicher, als das Schreckliche selber ist? — Auf diesen Umstand sollte man aufmerksamer seyn, und man wuͤrde vielleicht finden, daß traurige Ahndungen, die man sich in den Kopf gesetzt hat, weit oͤfter Ursachen als Vorbedeutungen des Todes sind. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0022]
Fuͤrs erste kann man nicht sagen, daß sie genau eintraf, denn sie ging, wie es bei vielen Menschen geschiehet, auf sehr etwas Allgemeines und Unbestimmtes, auf einen nahe bevorstehenden Tod — die Art des Todes und die eigentliche Zeit desselben war auf keine Weise in dieser Ahndung mit begriffen.
Und nun ein paar Worte uͤber das Eintreffen der Ahndung! — Ein Mensch, der seit einigen Wochen mit nichts, als dem Gedanken eines nahen Todes umgeht; der uͤbrigens in seinem Koͤrper noch keine Spur einer eigentlichen Krankheit bemerkt; der also seinen ihm so nahe bevorstehenden Tod nothwendig von einer aͤußern Ursache erwarten muß; dem also in jeder kleinen Gefahr, die ihm droht, das Bild des nahen Todes vorschwebt, kann der wohl bei irgend einer Gefahr Gegenwart des Geistes genug behalten, um sich gehoͤrig dabei zu nehmen? wird er nicht vielmehr, da er doch nun einmal glaubt, es sey sein Schicksal jetzt zu sterben, sich lieber ohne alles Widerstreben in den Abgrund hinabziehen lassen, dem er doch nun einmal nicht glaubt entgehen zu koͤnnen, und vor dem die Furcht noch schrecklicher, als das Schreckliche selber ist? — Auf diesen Umstand sollte man aufmerksamer seyn, und man wuͤrde vielleicht finden, daß traurige Ahndungen, die man sich in den Kopf gesetzt hat, weit oͤfter Ursachen als Vorbedeutungen des Todes sind.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/22>, abgerufen am 16.07.2024. |