Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.Freilich bleiben der Wißbegierde hier noch genug Fragen übrig. Am liebsten möchte sie folgende beantwortet haben: wo finde ich den allerersten, den zartesten Keim dieses sich aufgedrungenen Gedankens? -- Wodurch bekam diese Jdee ihre erste Wirksamkeit? -- Allein es ist umsonst, so tief in sich selbst hineinblicken zu wollen. Und doch geschieht auch hier kein Sprung. Von einer gegenwärtigen Jdee ist immer schon ein Analogon da gewesen, die herrschende, ist gleichsam die Blume in voller Blüte, deren Knospe ein sanfter Hauch entfaltete. Gleich den Farben verlaufen sie sich in einander, ihre Schattirungen sind oft so unmerklich fein, daß nur erst ein scharfer Geistesblick eine bisher gleichsam im Halbschatten schwebende Jdee auf einmal im brennenden Lichte erblickt: diese Energie der Seele erweckte vielleicht eine alte schlummernde Jdee in mir, oder bildete aus mehrern ähnlichen eine, die sie zu den hohen Grade von Lebhaftigkeit erhob. Ohne ein Vergnügen daran zu finden, war ich oft zugegen, wenn geschlachtet wurde, vielleicht hatte ich dieser Handlung noch an demselben Abend, zu welcher Zeit sie gewöhnlich vorgenommen wurde, beigewohnt. Dieses Bild kopierte meine Seele und trieb ihr Spiel damit im Dunkeln. Sollte immer ein deutliches Bewußtseyn bey unsern Vorstellungen, insonderheit wenn sich ihre Grundzüge in unserer Seele mahlen, nöthig seyn? Die Materialien dazu sind freilich schon vorhanden, es fehlt Freilich bleiben der Wißbegierde hier noch genug Fragen uͤbrig. Am liebsten moͤchte sie folgende beantwortet haben: wo finde ich den allerersten, den zartesten Keim dieses sich aufgedrungenen Gedankens? — Wodurch bekam diese Jdee ihre erste Wirksamkeit? — Allein es ist umsonst, so tief in sich selbst hineinblicken zu wollen. Und doch geschieht auch hier kein Sprung. Von einer gegenwaͤrtigen Jdee ist immer schon ein Analogon da gewesen, die herrschende, ist gleichsam die Blume in voller Bluͤte, deren Knospe ein sanfter Hauch entfaltete. Gleich den Farben verlaufen sie sich in einander, ihre Schattirungen sind oft so unmerklich fein, daß nur erst ein scharfer Geistesblick eine bisher gleichsam im Halbschatten schwebende Jdee auf einmal im brennenden Lichte erblickt: diese Energie der Seele erweckte vielleicht eine alte schlummernde Jdee in mir, oder bildete aus mehrern aͤhnlichen eine, die sie zu den hohen Grade von Lebhaftigkeit erhob. Ohne ein Vergnuͤgen daran zu finden, war ich oft zugegen, wenn geschlachtet wurde, vielleicht hatte ich dieser Handlung noch an demselben Abend, zu welcher Zeit sie gewoͤhnlich vorgenommen wurde, beigewohnt. Dieses Bild kopierte meine Seele und trieb ihr Spiel damit im Dunkeln. Sollte immer ein deutliches Bewußtseyn bey unsern Vorstellungen, insonderheit wenn sich ihre Grundzuͤge in unserer Seele mahlen, noͤthig seyn? Die Materialien dazu sind freilich schon vorhanden, es fehlt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0068" n="68"/><lb/> <p>Freilich bleiben der Wißbegierde hier noch genug Fragen uͤbrig. Am liebsten moͤchte sie folgende beantwortet haben: wo finde ich den allerersten, den zartesten Keim dieses sich aufgedrungenen Gedankens? — Wodurch bekam diese Jdee ihre erste Wirksamkeit? — Allein es ist umsonst, so tief in sich selbst hineinblicken zu wollen. Und doch geschieht auch hier kein Sprung. Von einer gegenwaͤrtigen Jdee ist immer schon ein Analogon da gewesen, die herrschende, ist gleichsam die Blume in voller Bluͤte, deren Knospe ein sanfter Hauch entfaltete. Gleich den Farben verlaufen sie sich in einander, ihre Schattirungen sind oft so unmerklich fein, daß nur erst ein scharfer Geistesblick eine bisher gleichsam im Halbschatten schwebende Jdee auf einmal im brennenden Lichte erblickt: diese Energie der Seele erweckte vielleicht eine alte schlummernde Jdee in mir, oder bildete aus mehrern aͤhnlichen eine, die sie zu den hohen Grade von Lebhaftigkeit erhob. Ohne ein Vergnuͤgen daran zu finden, war ich oft zugegen, wenn geschlachtet wurde, vielleicht hatte ich dieser Handlung noch an demselben Abend, zu welcher Zeit sie gewoͤhnlich vorgenommen wurde, beigewohnt. Dieses Bild kopierte meine Seele und trieb ihr Spiel damit im Dunkeln. Sollte immer ein deutliches Bewußtseyn bey unsern Vorstellungen, insonderheit wenn sich ihre Grundzuͤge in unserer Seele mahlen, noͤthig seyn? Die Materialien dazu sind freilich schon vorhanden, es fehlt<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [68/0068]
Freilich bleiben der Wißbegierde hier noch genug Fragen uͤbrig. Am liebsten moͤchte sie folgende beantwortet haben: wo finde ich den allerersten, den zartesten Keim dieses sich aufgedrungenen Gedankens? — Wodurch bekam diese Jdee ihre erste Wirksamkeit? — Allein es ist umsonst, so tief in sich selbst hineinblicken zu wollen. Und doch geschieht auch hier kein Sprung. Von einer gegenwaͤrtigen Jdee ist immer schon ein Analogon da gewesen, die herrschende, ist gleichsam die Blume in voller Bluͤte, deren Knospe ein sanfter Hauch entfaltete. Gleich den Farben verlaufen sie sich in einander, ihre Schattirungen sind oft so unmerklich fein, daß nur erst ein scharfer Geistesblick eine bisher gleichsam im Halbschatten schwebende Jdee auf einmal im brennenden Lichte erblickt: diese Energie der Seele erweckte vielleicht eine alte schlummernde Jdee in mir, oder bildete aus mehrern aͤhnlichen eine, die sie zu den hohen Grade von Lebhaftigkeit erhob. Ohne ein Vergnuͤgen daran zu finden, war ich oft zugegen, wenn geschlachtet wurde, vielleicht hatte ich dieser Handlung noch an demselben Abend, zu welcher Zeit sie gewoͤhnlich vorgenommen wurde, beigewohnt. Dieses Bild kopierte meine Seele und trieb ihr Spiel damit im Dunkeln. Sollte immer ein deutliches Bewußtseyn bey unsern Vorstellungen, insonderheit wenn sich ihre Grundzuͤge in unserer Seele mahlen, noͤthig seyn? Die Materialien dazu sind freilich schon vorhanden, es fehlt
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/68>, abgerufen am 18.07.2024. |