Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Jch ersuchte die Mutter, uns allein zu lassen; weil ich merkte, daß die sehr unsanft mit ihr sprach, und bemühete mich alsdann, ihr das unwahrscheinliche in ihrer Erzählung, aus mancherlei Gründen zu zeigen; allein ich konnte damit nichts ausrichten, immer klagte sie nur: Hätte ich nur die Thorheit nicht begangen! Hätte ich nur die Ehe nicht gebrochen! Oder sie antwortete mir: Ja, das können sie wohl sagen, sie haben die Ehe nicht gebrochen! Vergebens suchte ich sie zu überzeugen daß ihre innerliche Bangigkeit natürliche Ursachen habe; sie blieb dabei, daß ihr zur Strafe ihrer Sünde etwas in den Leib sey gebannt worden. Als ich endlich fand, daß ich nichts ausrichten würde, wenn ich ihr in Ansehung des Ehebruchs länger wiederspräche; sprach ich zu ihr von Gottes Erbarmen, und wie ich fest überzeugt sey, daß ihr Gott schon vergeben habe -- endlich gebrauchte ich glücklicher Weise den Ausdruck: (doch weiß ich den Zusammenhang nicht mehr) Wenn wir gar keine Sünde thun könnten, so brauchten wir ja auch keinen Heiland. Hier stutzte sie; nach einigen Augenblicken traten ihr Trähnen in die Augen, und sie sagte mit grosser Bewegung: Ja, das ist wahr, wenn wir gar keine Sünde thun könnten,
Jch ersuchte die Mutter, uns allein zu lassen; weil ich merkte, daß die sehr unsanft mit ihr sprach, und bemuͤhete mich alsdann, ihr das unwahrscheinliche in ihrer Erzaͤhlung, aus mancherlei Gruͤnden zu zeigen; allein ich konnte damit nichts ausrichten, immer klagte sie nur: Haͤtte ich nur die Thorheit nicht begangen! Haͤtte ich nur die Ehe nicht gebrochen! Oder sie antwortete mir: Ja, das koͤnnen sie wohl sagen, sie haben die Ehe nicht gebrochen! Vergebens suchte ich sie zu uͤberzeugen daß ihre innerliche Bangigkeit natuͤrliche Ursachen habe; sie blieb dabei, daß ihr zur Strafe ihrer Suͤnde etwas in den Leib sey gebannt worden. Als ich endlich fand, daß ich nichts ausrichten wuͤrde, wenn ich ihr in Ansehung des Ehebruchs laͤnger wiederspraͤche; sprach ich zu ihr von Gottes Erbarmen, und wie ich fest uͤberzeugt sey, daß ihr Gott schon vergeben habe — endlich gebrauchte ich gluͤcklicher Weise den Ausdruck: (doch weiß ich den Zusammenhang nicht mehr) Wenn wir gar keine Suͤnde thun koͤnnten, so brauchten wir ja auch keinen Heiland. Hier stutzte sie; nach einigen Augenblicken traten ihr Traͤhnen in die Augen, und sie sagte mit grosser Bewegung: Ja, das ist wahr, wenn wir gar keine Suͤnde thun koͤnnten, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0030" n="30"/><lb/> nete Pflaumen gegeben, und als sie die gegessen und davon so schlaͤfrig geworden, daß sie wieder ihren Willen eingeschlafen, die Ehe mit ihm gebrochen haben. </p> <p>Jch ersuchte die Mutter, uns allein zu lassen; weil ich merkte, daß die sehr unsanft mit ihr sprach, und bemuͤhete mich alsdann, ihr das unwahrscheinliche in ihrer Erzaͤhlung, aus mancherlei Gruͤnden zu zeigen; allein ich konnte damit nichts ausrichten, immer klagte sie nur: Haͤtte ich nur die Thorheit nicht begangen! Haͤtte ich nur die Ehe nicht gebrochen! Oder sie antwortete mir: Ja, das koͤnnen sie wohl sagen, sie haben die Ehe nicht gebrochen! </p> <p>Vergebens suchte ich sie zu uͤberzeugen daß ihre innerliche Bangigkeit natuͤrliche Ursachen habe; sie blieb dabei, daß ihr zur Strafe ihrer Suͤnde etwas in den Leib sey gebannt worden.</p> <p>Als ich endlich fand, daß ich nichts ausrichten wuͤrde, wenn ich ihr in Ansehung des Ehebruchs laͤnger wiederspraͤche; sprach ich zu ihr von Gottes Erbarmen, und wie ich fest uͤberzeugt sey, daß ihr Gott schon vergeben habe — endlich gebrauchte ich gluͤcklicher Weise den Ausdruck: (doch weiß ich den Zusammenhang nicht mehr) Wenn wir gar keine Suͤnde thun koͤnnten, so brauchten wir ja auch keinen Heiland. Hier stutzte sie; nach einigen Augenblicken traten ihr Traͤhnen in die Augen, und sie sagte mit grosser Bewegung: Ja, das ist wahr, wenn wir gar keine Suͤnde thun koͤnnten,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0030]
nete Pflaumen gegeben, und als sie die gegessen und davon so schlaͤfrig geworden, daß sie wieder ihren Willen eingeschlafen, die Ehe mit ihm gebrochen haben.
Jch ersuchte die Mutter, uns allein zu lassen; weil ich merkte, daß die sehr unsanft mit ihr sprach, und bemuͤhete mich alsdann, ihr das unwahrscheinliche in ihrer Erzaͤhlung, aus mancherlei Gruͤnden zu zeigen; allein ich konnte damit nichts ausrichten, immer klagte sie nur: Haͤtte ich nur die Thorheit nicht begangen! Haͤtte ich nur die Ehe nicht gebrochen! Oder sie antwortete mir: Ja, das koͤnnen sie wohl sagen, sie haben die Ehe nicht gebrochen!
Vergebens suchte ich sie zu uͤberzeugen daß ihre innerliche Bangigkeit natuͤrliche Ursachen habe; sie blieb dabei, daß ihr zur Strafe ihrer Suͤnde etwas in den Leib sey gebannt worden.
Als ich endlich fand, daß ich nichts ausrichten wuͤrde, wenn ich ihr in Ansehung des Ehebruchs laͤnger wiederspraͤche; sprach ich zu ihr von Gottes Erbarmen, und wie ich fest uͤberzeugt sey, daß ihr Gott schon vergeben habe — endlich gebrauchte ich gluͤcklicher Weise den Ausdruck: (doch weiß ich den Zusammenhang nicht mehr) Wenn wir gar keine Suͤnde thun koͤnnten, so brauchten wir ja auch keinen Heiland. Hier stutzte sie; nach einigen Augenblicken traten ihr Traͤhnen in die Augen, und sie sagte mit grosser Bewegung: Ja, das ist wahr, wenn wir gar keine Suͤnde thun koͤnnten,
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/30>, abgerufen am 18.07.2024. |