Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Man erzählte mir: Jhre beiden kleinen Töchter wären zugleich an Blattern gestorben, von welchen sie die Jüngste noch an der Brust gehabt. Das Zurücktreten der Milch und ihre unmäßige Betrübniß, wären ohne Zweifel die Ursachen einer grossen Bangigkeit gewesen, die sie auf den Gedanken gebracht, sie habe die Ehe gebrochen, und zur Strafe dafür, sey ihr etwas in den Leib gehext worden, das ihr unaufhörlich Angst verursache, und ihr nicht zuliesse, etwas zu arbeiten. Solche traurige Vorstellungen und ihr Müßigsitzen, hätten nun natürlicher Weise ihr Uebel täglich vermehrt. Jch ging zu ihr hin und traf sie an, daß sie an einem Tische, mit unter dem Kopf gestemmten Armen und niedergeschlagnen Augen saß. Jhre Mutter rief ihr mit Ungestüm zu, ob sie mich nicht kennte? Sie sahe mich an, schlug aber gleich die Augen wieder nieder, und sagte endlich, da sie mich wieder fürchterlich starr ansahe: Als ich bey ihnen diente, war ich glücklich; damals hatte ich noch keine Sünde und Schande begangen, hätte ich nur die Ehe nicht gebrochen! Hierauf erzälte sie mir die ganze unglückliche Geschichte, die ihre Einbildungskraft erfunden hatte. Kurz: des Nachbars Sohn sollte ihr getrock-
Man erzaͤhlte mir: Jhre beiden kleinen Toͤchter waͤren zugleich an Blattern gestorben, von welchen sie die Juͤngste noch an der Brust gehabt. Das Zuruͤcktreten der Milch und ihre unmaͤßige Betruͤbniß, waͤren ohne Zweifel die Ursachen einer grossen Bangigkeit gewesen, die sie auf den Gedanken gebracht, sie habe die Ehe gebrochen, und zur Strafe dafuͤr, sey ihr etwas in den Leib gehext worden, das ihr unaufhoͤrlich Angst verursache, und ihr nicht zuliesse, etwas zu arbeiten. Solche traurige Vorstellungen und ihr Muͤßigsitzen, haͤtten nun natuͤrlicher Weise ihr Uebel taͤglich vermehrt. Jch ging zu ihr hin und traf sie an, daß sie an einem Tische, mit unter dem Kopf gestemmten Armen und niedergeschlagnen Augen saß. Jhre Mutter rief ihr mit Ungestuͤm zu, ob sie mich nicht kennte? Sie sahe mich an, schlug aber gleich die Augen wieder nieder, und sagte endlich, da sie mich wieder fuͤrchterlich starr ansahe: Als ich bey ihnen diente, war ich gluͤcklich; damals hatte ich noch keine Suͤnde und Schande begangen, haͤtte ich nur die Ehe nicht gebrochen! Hierauf erzaͤlte sie mir die ganze ungluͤckliche Geschichte, die ihre Einbildungskraft erfunden hatte. Kurz: des Nachbars Sohn sollte ihr getrock- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0029" n="29"/><lb/> sagte, daß sie seit laͤnger als einem Jahre, den Verstand verloren, und vom Arzte und Beichtvater als unheilbar aufgegeben sey. </p> <p>Man erzaͤhlte mir: Jhre beiden kleinen Toͤchter waͤren zugleich an Blattern gestorben, von welchen sie die Juͤngste noch an der Brust gehabt. Das Zuruͤcktreten der Milch und ihre unmaͤßige Betruͤbniß, waͤren ohne Zweifel die Ursachen einer grossen Bangigkeit gewesen, die sie auf den Gedanken gebracht, sie habe die Ehe gebrochen, und zur Strafe dafuͤr, sey ihr etwas in den Leib gehext worden, das ihr unaufhoͤrlich Angst verursache, und ihr nicht zuliesse, etwas zu arbeiten. Solche traurige Vorstellungen und ihr Muͤßigsitzen, haͤtten nun natuͤrlicher Weise ihr Uebel taͤglich vermehrt. </p> <p>Jch ging zu ihr hin und traf sie an, daß sie an einem Tische, mit unter dem Kopf gestemmten Armen und niedergeschlagnen Augen saß. Jhre Mutter rief ihr mit Ungestuͤm zu, ob sie mich nicht kennte? Sie sahe mich an, schlug aber gleich die Augen wieder nieder, und sagte endlich, da sie mich wieder fuͤrchterlich starr ansahe: Als ich bey ihnen diente, war ich gluͤcklich; damals hatte ich noch keine Suͤnde und Schande begangen, haͤtte ich nur die Ehe nicht gebrochen! </p> <p>Hierauf erzaͤlte sie mir die ganze ungluͤckliche Geschichte, die ihre Einbildungskraft erfunden hatte. Kurz: des Nachbars Sohn sollte ihr getrock-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0029]
sagte, daß sie seit laͤnger als einem Jahre, den Verstand verloren, und vom Arzte und Beichtvater als unheilbar aufgegeben sey.
Man erzaͤhlte mir: Jhre beiden kleinen Toͤchter waͤren zugleich an Blattern gestorben, von welchen sie die Juͤngste noch an der Brust gehabt. Das Zuruͤcktreten der Milch und ihre unmaͤßige Betruͤbniß, waͤren ohne Zweifel die Ursachen einer grossen Bangigkeit gewesen, die sie auf den Gedanken gebracht, sie habe die Ehe gebrochen, und zur Strafe dafuͤr, sey ihr etwas in den Leib gehext worden, das ihr unaufhoͤrlich Angst verursache, und ihr nicht zuliesse, etwas zu arbeiten. Solche traurige Vorstellungen und ihr Muͤßigsitzen, haͤtten nun natuͤrlicher Weise ihr Uebel taͤglich vermehrt.
Jch ging zu ihr hin und traf sie an, daß sie an einem Tische, mit unter dem Kopf gestemmten Armen und niedergeschlagnen Augen saß. Jhre Mutter rief ihr mit Ungestuͤm zu, ob sie mich nicht kennte? Sie sahe mich an, schlug aber gleich die Augen wieder nieder, und sagte endlich, da sie mich wieder fuͤrchterlich starr ansahe: Als ich bey ihnen diente, war ich gluͤcklich; damals hatte ich noch keine Suͤnde und Schande begangen, haͤtte ich nur die Ehe nicht gebrochen!
Hierauf erzaͤlte sie mir die ganze ungluͤckliche Geschichte, die ihre Einbildungskraft erfunden hatte. Kurz: des Nachbars Sohn sollte ihr getrock-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |