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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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Weg von 3 Meilen zurückgelegt, 12 Schornsteine für seinen Vater gefegt und gleich darauf ist er eben diesen Weg nach Haus gegangen.

Einige Tage vor Ostern dieses Jahres, da dieser Knabe mit seiner Mutter allein ist, kommt eine Nachbarin und erzählt der Mutter, wie eine dritte Frau in der Nachbarschaft Gott gelästert habe. Sie wiederholt nicht nur die abscheulichen Reden selbst, sondern bespricht sich auch mit der Mutter des Knabens über die schrecklichen Strafen, welche die Gotteslästerin einst in der Hölle werde auszustehen haben. Der Knabe hört ganz stille und nachdenkend zu. Des andern Tags früh erwacht er mit Weinen und Klagen und erzählt, daß ihn im Traume der Teufel verfolgt habe. Er selbst hält diesen Traum für bedeutungsvoll und die Mutter nimmt ihn zur Gelegenheit, sich mit dem Träumer über Religionswahrheiten, besonders über die Sünde und deren Strafen, zu unterhalten. Dieses Gespräch macht so großen Eindruck auf ihn, daß er die Mutter flehentlich bittet, sie möchte doch bei Gott für ihn bitten. Ja, sagt die Mutter, lieber Sohn, fremdes Gebet hilft nichts, du mußt selbst beten; darauf giebt sie ihm ein Gesangbuch und schlägt ihm ein Lied auf, dessen Anfang ich nicht behalten habe, dessen Jnhalt aber auf die letzten Dinge ging. Der Knabe befindet sich zu matt zum Aufbleiben und setzt sich ins Bette, liest da das Lied, wird sprachlos und verlangt durch Zeichen Pa-


Weg von 3 Meilen zuruͤckgelegt, 12 Schornsteine fuͤr seinen Vater gefegt und gleich darauf ist er eben diesen Weg nach Haus gegangen.

Einige Tage vor Ostern dieses Jahres, da dieser Knabe mit seiner Mutter allein ist, kommt eine Nachbarin und erzaͤhlt der Mutter, wie eine dritte Frau in der Nachbarschaft Gott gelaͤstert habe. Sie wiederholt nicht nur die abscheulichen Reden selbst, sondern bespricht sich auch mit der Mutter des Knabens uͤber die schrecklichen Strafen, welche die Gotteslaͤsterin einst in der Hoͤlle werde auszustehen haben. Der Knabe hoͤrt ganz stille und nachdenkend zu. Des andern Tags fruͤh erwacht er mit Weinen und Klagen und erzaͤhlt, daß ihn im Traume der Teufel verfolgt habe. Er selbst haͤlt diesen Traum fuͤr bedeutungsvoll und die Mutter nimmt ihn zur Gelegenheit, sich mit dem Traͤumer uͤber Religionswahrheiten, besonders uͤber die Suͤnde und deren Strafen, zu unterhalten. Dieses Gespraͤch macht so großen Eindruck auf ihn, daß er die Mutter flehentlich bittet, sie moͤchte doch bei Gott fuͤr ihn bitten. Ja, sagt die Mutter, lieber Sohn, fremdes Gebet hilft nichts, du mußt selbst beten; darauf giebt sie ihm ein Gesangbuch und schlaͤgt ihm ein Lied auf, dessen Anfang ich nicht behalten habe, dessen Jnhalt aber auf die letzten Dinge ging. Der Knabe befindet sich zu matt zum Aufbleiben und setzt sich ins Bette, liest da das Lied, wird sprachlos und verlangt durch Zeichen Pa-

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[101/0101] Weg von 3 Meilen zuruͤckgelegt, 12 Schornsteine fuͤr seinen Vater gefegt und gleich darauf ist er eben diesen Weg nach Haus gegangen. Einige Tage vor Ostern dieses Jahres, da dieser Knabe mit seiner Mutter allein ist, kommt eine Nachbarin und erzaͤhlt der Mutter, wie eine dritte Frau in der Nachbarschaft Gott gelaͤstert habe. Sie wiederholt nicht nur die abscheulichen Reden selbst, sondern bespricht sich auch mit der Mutter des Knabens uͤber die schrecklichen Strafen, welche die Gotteslaͤsterin einst in der Hoͤlle werde auszustehen haben. Der Knabe hoͤrt ganz stille und nachdenkend zu. Des andern Tags fruͤh erwacht er mit Weinen und Klagen und erzaͤhlt, daß ihn im Traume der Teufel verfolgt habe. Er selbst haͤlt diesen Traum fuͤr bedeutungsvoll und die Mutter nimmt ihn zur Gelegenheit, sich mit dem Traͤumer uͤber Religionswahrheiten, besonders uͤber die Suͤnde und deren Strafen, zu unterhalten. Dieses Gespraͤch macht so großen Eindruck auf ihn, daß er die Mutter flehentlich bittet, sie moͤchte doch bei Gott fuͤr ihn bitten. Ja, sagt die Mutter, lieber Sohn, fremdes Gebet hilft nichts, du mußt selbst beten; darauf giebt sie ihm ein Gesangbuch und schlaͤgt ihm ein Lied auf, dessen Anfang ich nicht behalten habe, dessen Jnhalt aber auf die letzten Dinge ging. Der Knabe befindet sich zu matt zum Aufbleiben und setzt sich ins Bette, liest da das Lied, wird sprachlos und verlangt durch Zeichen Pa-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/101>, abgerufen am 22.11.2024.