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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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stellungen von Gott, und abergläubische Schilderungen von der Hölle und Gespenstern beizubringen, und ihnen grämliche, menschenfeindliche Bilder von der Welt und andern Menschen zu entwerfen. Warum wollen wir ihnen nicht lieber, soviel wir können, alles unter der Gestalt des Angenehmen darstellen und ihnen schon die ersten Scenen ihres frohen Jugendalters im voraus verfinstern, da sie überdem noch manchen Regentag erleben müssen und des dicken Nebels noch genug übrig bleibt, der ihnen die freie Aussicht benehmen wird.

Viertens. Es ist vielleicht gut, Kindern, besonders solchen, auf die wenig oder gar keine eigentliche Erziehung gewandt werden kann, einen simpeln, kräftigen Spruch, ein gutes, faßliches Lied beizubringen, das ihnen vielleicht im Alter, wenn sie den Katechismus sammt der Glaubenslehre längst vergessen haben, noch übrig bleibt und ihnen Trost und Erbauung gewährt. Es scheint sich daraus erklären zu lassen, warum der gemeine Mann und besonders alte Leute so steif auf alte Lieder halten, und es scheint gewissermaßen grausam zu seyn, ihnen alte umgeänderte, oder ganz neue Lieder und Gesangbücher aufdringen zu wollen, ihnen einen Spruch zu rauben, an dem manchmal ihre ganze Beruhigung und Trost im Leiden, ja vielleicht ihre ganze Religion hängt.



stellungen von Gott, und aberglaͤubische Schilderungen von der Hoͤlle und Gespenstern beizubringen, und ihnen graͤmliche, menschenfeindliche Bilder von der Welt und andern Menschen zu entwerfen. Warum wollen wir ihnen nicht lieber, soviel wir koͤnnen, alles unter der Gestalt des Angenehmen darstellen und ihnen schon die ersten Scenen ihres frohen Jugendalters im voraus verfinstern, da sie uͤberdem noch manchen Regentag erleben muͤssen und des dicken Nebels noch genug uͤbrig bleibt, der ihnen die freie Aussicht benehmen wird.

Viertens. Es ist vielleicht gut, Kindern, besonders solchen, auf die wenig oder gar keine eigentliche Erziehung gewandt werden kann, einen simpeln, kraͤftigen Spruch, ein gutes, faßliches Lied beizubringen, das ihnen vielleicht im Alter, wenn sie den Katechismus sammt der Glaubenslehre laͤngst vergessen haben, noch uͤbrig bleibt und ihnen Trost und Erbauung gewaͤhrt. Es scheint sich daraus erklaͤren zu lassen, warum der gemeine Mann und besonders alte Leute so steif auf alte Lieder halten, und es scheint gewissermaßen grausam zu seyn, ihnen alte umgeaͤnderte, oder ganz neue Lieder und Gesangbuͤcher aufdringen zu wollen, ihnen einen Spruch zu rauben, an dem manchmal ihre ganze Beruhigung und Trost im Leiden, ja vielleicht ihre ganze Religion haͤngt.


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[111/0111] stellungen von Gott, und aberglaͤubische Schilderungen von der Hoͤlle und Gespenstern beizubringen, und ihnen graͤmliche, menschenfeindliche Bilder von der Welt und andern Menschen zu entwerfen. Warum wollen wir ihnen nicht lieber, soviel wir koͤnnen, alles unter der Gestalt des Angenehmen darstellen und ihnen schon die ersten Scenen ihres frohen Jugendalters im voraus verfinstern, da sie uͤberdem noch manchen Regentag erleben muͤssen und des dicken Nebels noch genug uͤbrig bleibt, der ihnen die freie Aussicht benehmen wird. Viertens. Es ist vielleicht gut, Kindern, besonders solchen, auf die wenig oder gar keine eigentliche Erziehung gewandt werden kann, einen simpeln, kraͤftigen Spruch, ein gutes, faßliches Lied beizubringen, das ihnen vielleicht im Alter, wenn sie den Katechismus sammt der Glaubenslehre laͤngst vergessen haben, noch uͤbrig bleibt und ihnen Trost und Erbauung gewaͤhrt. Es scheint sich daraus erklaͤren zu lassen, warum der gemeine Mann und besonders alte Leute so steif auf alte Lieder halten, und es scheint gewissermaßen grausam zu seyn, ihnen alte umgeaͤnderte, oder ganz neue Lieder und Gesangbuͤcher aufdringen zu wollen, ihnen einen Spruch zu rauben, an dem manchmal ihre ganze Beruhigung und Trost im Leiden, ja vielleicht ihre ganze Religion haͤngt.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/111>, abgerufen am 28.11.2024.