Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0029" n="27"/><lb/> kann ich, fuhr sie fort, Liebe und Hochachtung haben, da er mich wie seine Sclavin behandelt, mir seine Ausschweifungen entdeckt, und sich damit groß macht, und ich nun die Folgen seiner ausschweifenden Lebensart durch seinen Eigensinn und muͤrrische Laune buͤssen muß? — (Hier konnte sie sich der Thraͤnen nicht mehr enthalten.) Er hat mich, fuhr sie fort, als ein reines unschuldiges Maͤdchen erhalten; denn ich bin fast zu einfaͤltig erzogen worden. Durch ihn hab' ich meine Unschuld verloren. Wenn ich jetzt an diejenigen denke, die ich geliebt habe, ordentliche, gesunde und bemittelte Leute, und denke dann an meinen Mann, koͤnnen Sie sich da wundern, wenn der Gram tief in meinem Herzen steckte. Jetzt haben wir nun zwar huͤbsche Arbeit, allein wir stecken noch tief in Schulden, und wenn wir auch einige Thaler beisammen haben und ich dringe darauf, Schulden zu bezahlen, so will er nicht daran und wirft mir bei jedem Bissen Brod, den ich genieße, vor: ich koste ihm so viel. Oft laͤßt er mich mit meinem Kinde halbe Tage allein, laͤßt mir 6 Pf. zuruͤck, und er verzehrt 3 bis 4 Gr. Dadurch hat er mich zur Diebin gemacht, weil ich mein Kind unmoͤglich Noth leiden lassen kann. Jch schlage ihm daher, wo ich es moͤglich machen kann, alles etwas hoͤher an, und wenn ich hieran Unrecht thue, so verzeihe mir's Gott! (Hier weinte sie wieder.) Kommt er denn einmal dahinter, so koͤnnen Sie sich leicht<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [27/0029]
kann ich, fuhr sie fort, Liebe und Hochachtung haben, da er mich wie seine Sclavin behandelt, mir seine Ausschweifungen entdeckt, und sich damit groß macht, und ich nun die Folgen seiner ausschweifenden Lebensart durch seinen Eigensinn und muͤrrische Laune buͤssen muß? — (Hier konnte sie sich der Thraͤnen nicht mehr enthalten.) Er hat mich, fuhr sie fort, als ein reines unschuldiges Maͤdchen erhalten; denn ich bin fast zu einfaͤltig erzogen worden. Durch ihn hab' ich meine Unschuld verloren. Wenn ich jetzt an diejenigen denke, die ich geliebt habe, ordentliche, gesunde und bemittelte Leute, und denke dann an meinen Mann, koͤnnen Sie sich da wundern, wenn der Gram tief in meinem Herzen steckte. Jetzt haben wir nun zwar huͤbsche Arbeit, allein wir stecken noch tief in Schulden, und wenn wir auch einige Thaler beisammen haben und ich dringe darauf, Schulden zu bezahlen, so will er nicht daran und wirft mir bei jedem Bissen Brod, den ich genieße, vor: ich koste ihm so viel. Oft laͤßt er mich mit meinem Kinde halbe Tage allein, laͤßt mir 6 Pf. zuruͤck, und er verzehrt 3 bis 4 Gr. Dadurch hat er mich zur Diebin gemacht, weil ich mein Kind unmoͤglich Noth leiden lassen kann. Jch schlage ihm daher, wo ich es moͤglich machen kann, alles etwas hoͤher an, und wenn ich hieran Unrecht thue, so verzeihe mir's Gott! (Hier weinte sie wieder.) Kommt er denn einmal dahinter, so koͤnnen Sie sich leicht
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
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