Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.
Jetzt war er seiner nicht mehr mächtig. Die wirkliche Welt war vor ihm verschwunden, und er lebte und webte bloß in der Theaterwelt. Sobald er auf seiner Stube allein war, deklamirte er sich die Rollen wieder vor, welche den meisten Eindruck auf ihn gemacht hatten, und schonte dabei seine Stimme und seine Hände nicht. Sein Vater traf ihn einmal in einer dieser Attitüden an, und bestrafte ihn durch einem Blick, welcher unsern Roscius, der ihn anfänglich nicht bemerkt hatte, in die größte Verwirrung und Beschämung versetzte. -- Sein Vater lächelte, und ließ es gut seyn. -- Hätte er damals die sehr ernsthaften Folgen dieses Uebungsspiels bei seinem Sohne voraussehen können; er würde wahrscheinlich nicht gelächelt haben. Der bezog nun die Universität mit dem besten Vorsatze, fleißig zu seyn, aber mit der schlechtesten Anlage, diesen Vorsatz auszuführen, der gar nicht recht mit dem Jdeal übereinstimmen wollte, was sich seine Phantasie von seinem künftigen Leben entworfen hatte. Sohn meines Freundes, den wir D*** nennen wollen, Uebrigens kam ihm das zu statten, daß er Theologie studieren sollte. -- Denn nun fing er bald an zu predigen, und konnte doch auf die Weise
Jetzt war er seiner nicht mehr maͤchtig. Die wirkliche Welt war vor ihm verschwunden, und er lebte und webte bloß in der Theaterwelt. Sobald er auf seiner Stube allein war, deklamirte er sich die Rollen wieder vor, welche den meisten Eindruck auf ihn gemacht hatten, und schonte dabei seine Stimme und seine Haͤnde nicht. Sein Vater traf ihn einmal in einer dieser Attituͤden an, und bestrafte ihn durch einem Blick, welcher unsern Roscius, der ihn anfaͤnglich nicht bemerkt hatte, in die groͤßte Verwirrung und Beschaͤmung versetzte. — Sein Vater laͤchelte, und ließ es gut seyn. — Haͤtte er damals die sehr ernsthaften Folgen dieses Uebungsspiels bei seinem Sohne voraussehen koͤnnen; er wuͤrde wahrscheinlich nicht gelaͤchelt haben. Der bezog nun die Universitaͤt mit dem besten Vorsatze, fleißig zu seyn, aber mit der schlechtesten Anlage, diesen Vorsatz auszufuͤhren, der gar nicht recht mit dem Jdeal uͤbereinstimmen wollte, was sich seine Phantasie von seinem kuͤnftigen Leben entworfen hatte. Sohn meines Freundes, den wir D*** nennen wollen, Uebrigens kam ihm das zu statten, daß er Theologie studieren sollte. — Denn nun fing er bald an zu predigen, und konnte doch auf die Weise <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0120" n="118"/><lb/> get, und wovon er des Nachts getraͤumt hatte, vor seinen Augen wirklich dargestellt sahe. — </p> <p>Jetzt war er seiner nicht mehr maͤchtig. Die wirkliche Welt war vor ihm verschwunden, und er lebte und webte bloß in der Theaterwelt. </p> <p>Sobald er auf seiner Stube allein war, deklamirte er sich die Rollen wieder vor, welche den meisten Eindruck auf ihn gemacht hatten, und schonte dabei seine Stimme und seine Haͤnde nicht. </p> <p>Sein Vater traf ihn einmal in einer dieser Attituͤden an, und bestrafte ihn durch einem Blick, welcher unsern Roscius, der ihn anfaͤnglich nicht bemerkt hatte, in die groͤßte Verwirrung und Beschaͤmung versetzte. — Sein Vater laͤchelte, und ließ es gut seyn. — Haͤtte er damals die sehr ernsthaften Folgen dieses Uebungsspiels bei seinem Sohne voraussehen koͤnnen; er wuͤrde wahrscheinlich nicht gelaͤchelt haben. </p> <p>Der <persName ref="#ref0135"><note type="editorial">Paulmann, Johann Ernst Ludwig</note>Sohn meines Freundes, den wir D*** nennen wollen,</persName> bezog nun die Universitaͤt mit dem besten Vorsatze, fleißig zu seyn, aber mit der schlechtesten Anlage, diesen Vorsatz auszufuͤhren, der gar nicht recht mit dem Jdeal uͤbereinstimmen wollte, was sich seine Phantasie von seinem kuͤnftigen Leben entworfen hatte. </p> <p>Uebrigens kam ihm das zu statten, daß er Theologie studieren sollte. — Denn nun fing er bald an zu predigen, und konnte doch auf die Weise<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [118/0120]
get, und wovon er des Nachts getraͤumt hatte, vor seinen Augen wirklich dargestellt sahe. —
Jetzt war er seiner nicht mehr maͤchtig. Die wirkliche Welt war vor ihm verschwunden, und er lebte und webte bloß in der Theaterwelt.
Sobald er auf seiner Stube allein war, deklamirte er sich die Rollen wieder vor, welche den meisten Eindruck auf ihn gemacht hatten, und schonte dabei seine Stimme und seine Haͤnde nicht.
Sein Vater traf ihn einmal in einer dieser Attituͤden an, und bestrafte ihn durch einem Blick, welcher unsern Roscius, der ihn anfaͤnglich nicht bemerkt hatte, in die groͤßte Verwirrung und Beschaͤmung versetzte. — Sein Vater laͤchelte, und ließ es gut seyn. — Haͤtte er damals die sehr ernsthaften Folgen dieses Uebungsspiels bei seinem Sohne voraussehen koͤnnen; er wuͤrde wahrscheinlich nicht gelaͤchelt haben.
Der Sohn meines Freundes, den wir D*** nennen wollen, bezog nun die Universitaͤt mit dem besten Vorsatze, fleißig zu seyn, aber mit der schlechtesten Anlage, diesen Vorsatz auszufuͤhren, der gar nicht recht mit dem Jdeal uͤbereinstimmen wollte, was sich seine Phantasie von seinem kuͤnftigen Leben entworfen hatte.
Uebrigens kam ihm das zu statten, daß er Theologie studieren sollte. — Denn nun fing er bald an zu predigen, und konnte doch auf die Weise
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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