Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.
Wenn man ihn zur Rede sezt: so hat er eine Menge von Entschuldigungen. Wenn er gestraft werden soll: so ist er in tausend Aengsten und seine Furcht ist unbeschreiblich. Er bittet, er liebkoset, sagt in einer Reihe die schmeichelhaftesten, und süssesten Beiwörter her, macht komische Stellungen, Verzückungen, als ob er nicht reden könnte, oder schreit gewaltig und verspricht, es in seinem ganzen, ganzen Leben nicht mehr zu thun. Es ist auch nichts mit ihm auszurichten, denn unmittelbar nach der Strafe gehn seine Tausendkünste wieder aufs neue an; und man kann, denk ich, nichts bessres thun, als ihn von andern entfernen, um ihn näher und allein vor sich zu haben. Tücke und Bosheit ist bei ihm nicht. Er neckt zwar seine Mitschüler, aber nie auf eine bittre und kränkende Art, und zuweilen hat er wirklich etwas Gutthätiges in seinen Betragen gegen andre. Jch glaube, wenn er bessre Erziehung, frühere und mehr Gelegenheit zum Lernen und mehr Aufsicht gehabt hätte, so hätt' er sich auf irgend eine Weise als Genie ausgezeichnet, da er nun ein Wildfang, ein unruhiger Kopf werden wird, ohne etwas Nützliches in der Welt zu leisten. Es fehlt ihm nicht ganz an Anlage; aber sie hat keine Richtung, kein
Wenn man ihn zur Rede sezt: so hat er eine Menge von Entschuldigungen. Wenn er gestraft werden soll: so ist er in tausend Aengsten und seine Furcht ist unbeschreiblich. Er bittet, er liebkoset, sagt in einer Reihe die schmeichelhaftesten, und suͤssesten Beiwoͤrter her, macht komische Stellungen, Verzuͤckungen, als ob er nicht reden koͤnnte, oder schreit gewaltig und verspricht, es in seinem ganzen, ganzen Leben nicht mehr zu thun. Es ist auch nichts mit ihm auszurichten, denn unmittelbar nach der Strafe gehn seine Tausendkuͤnste wieder aufs neue an; und man kann, denk ich, nichts bessres thun, als ihn von andern entfernen, um ihn naͤher und allein vor sich zu haben. Tuͤcke und Bosheit ist bei ihm nicht. Er neckt zwar seine Mitschuͤler, aber nie auf eine bittre und kraͤnkende Art, und zuweilen hat er wirklich etwas Gutthaͤtiges in seinen Betragen gegen andre. Jch glaube, wenn er bessre Erziehung, fruͤhere und mehr Gelegenheit zum Lernen und mehr Aufsicht gehabt haͤtte, so haͤtt' er sich auf irgend eine Weise als Genie ausgezeichnet, da er nun ein Wildfang, ein unruhiger Kopf werden wird, ohne etwas Nuͤtzliches in der Welt zu leisten. Es fehlt ihm nicht ganz an Anlage; aber sie hat keine Richtung, kein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0115" n="113"/><lb/> Mund enge zusammen, und athmet so tief aus der Brust heraus, als ob er uͤber ein großes Ungluͤck seufzte, das ihm zugestossen ist, dem er abhelfen will, und wozu er kein Mittel finden kann. </p> <p>Wenn man ihn zur Rede sezt: so hat er eine Menge von Entschuldigungen. Wenn er gestraft werden soll: so ist er in tausend Aengsten und seine Furcht ist unbeschreiblich. Er bittet, er liebkoset, sagt in einer Reihe die schmeichelhaftesten, und suͤssesten Beiwoͤrter her, macht komische Stellungen, Verzuͤckungen, als ob er nicht reden koͤnnte, oder schreit gewaltig und verspricht, es in seinem ganzen, ganzen Leben nicht mehr zu thun. Es ist auch nichts mit ihm auszurichten, denn unmittelbar nach der Strafe gehn seine Tausendkuͤnste wieder aufs neue an; und man kann, denk ich, nichts bessres thun, als ihn von andern entfernen, um ihn naͤher und allein vor sich zu haben. </p> <p>Tuͤcke und Bosheit ist bei ihm nicht. Er neckt zwar seine Mitschuͤler, aber nie auf eine bittre und kraͤnkende Art, und zuweilen hat er wirklich etwas Gutthaͤtiges in seinen Betragen gegen andre. Jch glaube, wenn er bessre Erziehung, fruͤhere und mehr Gelegenheit zum Lernen und mehr Aufsicht gehabt haͤtte, so haͤtt' er sich auf irgend eine Weise als Genie ausgezeichnet, da er nun ein Wildfang, ein unruhiger Kopf werden wird, ohne etwas Nuͤtzliches in der Welt zu leisten. Es fehlt ihm nicht ganz an Anlage; aber sie hat keine Richtung, kein<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [113/0115]
Mund enge zusammen, und athmet so tief aus der Brust heraus, als ob er uͤber ein großes Ungluͤck seufzte, das ihm zugestossen ist, dem er abhelfen will, und wozu er kein Mittel finden kann.
Wenn man ihn zur Rede sezt: so hat er eine Menge von Entschuldigungen. Wenn er gestraft werden soll: so ist er in tausend Aengsten und seine Furcht ist unbeschreiblich. Er bittet, er liebkoset, sagt in einer Reihe die schmeichelhaftesten, und suͤssesten Beiwoͤrter her, macht komische Stellungen, Verzuͤckungen, als ob er nicht reden koͤnnte, oder schreit gewaltig und verspricht, es in seinem ganzen, ganzen Leben nicht mehr zu thun. Es ist auch nichts mit ihm auszurichten, denn unmittelbar nach der Strafe gehn seine Tausendkuͤnste wieder aufs neue an; und man kann, denk ich, nichts bessres thun, als ihn von andern entfernen, um ihn naͤher und allein vor sich zu haben.
Tuͤcke und Bosheit ist bei ihm nicht. Er neckt zwar seine Mitschuͤler, aber nie auf eine bittre und kraͤnkende Art, und zuweilen hat er wirklich etwas Gutthaͤtiges in seinen Betragen gegen andre. Jch glaube, wenn er bessre Erziehung, fruͤhere und mehr Gelegenheit zum Lernen und mehr Aufsicht gehabt haͤtte, so haͤtt' er sich auf irgend eine Weise als Genie ausgezeichnet, da er nun ein Wildfang, ein unruhiger Kopf werden wird, ohne etwas Nuͤtzliches in der Welt zu leisten. Es fehlt ihm nicht ganz an Anlage; aber sie hat keine Richtung, kein
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