Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.
Zur Erläuterung des Vorhergehenden will ich nur noch folgende Bemerkungen hinzusetzen, die sich von allen Menschen, doch nach den verschiednen Graden ihrer Empfindungsfähigkeiten, und Organisation verschieden abstrahiren lassen. Wenn wir auf uns genau Acht geben, sonderlich wenn wir uns in dem Zustande gemischter Empfindungen befinden, -- (und wahrscheinlich befinden wir uns immer darin, ob wir uns dieses Zustandes gleich nicht allemal deutlich bewust seyn können; -- ) so kann es uns nicht schwer werden zu bemerken, daß die Empfindungen des Angenehmen und Unangenehmen gar leicht in der Seele mit einander abwechseln, unbegreiflich schnell in einander übergehen, und sich in einander auflösen lassen -- und zwar nicht immer nach einer Folge vorhergegangener deutlicher Vorstellungen darüber, sondern sehr oft durch einen plötzlichen Tausch unsrer Gefühle, um den wir uns keine Mühe gegeben hatten. Unzählig oft sind wir uns der Gründe nicht ganz bewußt, wie und durch welche Mittelwege sie aus einem angenehmen Zustande in einen unangenehmen, und umgekehrt, übergehen. Nach einem langen heftigen Schmerz unsrer Seele fühlen wir oft auf einmal ein inneres Wohlbehagen; obgleich
Zur Erlaͤuterung des Vorhergehenden will ich nur noch folgende Bemerkungen hinzusetzen, die sich von allen Menschen, doch nach den verschiednen Graden ihrer Empfindungsfaͤhigkeiten, und Organisation verschieden abstrahiren lassen. Wenn wir auf uns genau Acht geben, sonderlich wenn wir uns in dem Zustande gemischter Empfindungen befinden, — (und wahrscheinlich befinden wir uns immer darin, ob wir uns dieses Zustandes gleich nicht allemal deutlich bewust seyn koͤnnen; — ) so kann es uns nicht schwer werden zu bemerken, daß die Empfindungen des Angenehmen und Unangenehmen gar leicht in der Seele mit einander abwechseln, unbegreiflich schnell in einander uͤbergehen, und sich in einander aufloͤsen lassen — und zwar nicht immer nach einer Folge vorhergegangener deutlicher Vorstellungen daruͤber, sondern sehr oft durch einen ploͤtzlichen Tausch unsrer Gefuͤhle, um den wir uns keine Muͤhe gegeben hatten. Unzaͤhlig oft sind wir uns der Gruͤnde nicht ganz bewußt, wie und durch welche Mittelwege sie aus einem angenehmen Zustande in einen unangenehmen, und umgekehrt, uͤbergehen. Nach einem langen heftigen Schmerz unsrer Seele fuͤhlen wir oft auf einmal ein inneres Wohlbehagen; obgleich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0103" n="101"/><lb/> lichem Mitleid, oder aus einer verstellten Theilnehmung ihr Gesicht in ernsthafte Falten zu legen suchen, was uns oft nicht anders als laͤcherlich vorkommen kann. </p> <p>Zur Erlaͤuterung des Vorhergehenden will ich nur noch folgende Bemerkungen hinzusetzen, die sich von allen Menschen, doch nach den verschiednen Graden ihrer Empfindungsfaͤhigkeiten, und Organisation verschieden abstrahiren lassen. Wenn wir auf uns genau Acht geben, sonderlich wenn wir uns in dem Zustande <hi rendition="#b">gemischter Empfindungen</hi> befinden, — (und wahrscheinlich befinden wir uns immer darin, ob wir uns dieses Zustandes gleich nicht allemal deutlich bewust seyn koͤnnen; — ) so kann es uns nicht schwer werden zu bemerken, daß die Empfindungen des Angenehmen und Unangenehmen gar leicht in der Seele mit einander <hi rendition="#b">abwechseln,</hi> unbegreiflich schnell in einander <hi rendition="#b">uͤbergehen,</hi> und sich in einander <hi rendition="#b">aufloͤsen</hi> lassen — und zwar nicht immer nach einer Folge vorhergegangener deutlicher Vorstellungen daruͤber, sondern sehr oft durch einen ploͤtzlichen <hi rendition="#b">Tausch unsrer Gefuͤhle,</hi> um den wir uns keine Muͤhe gegeben hatten. Unzaͤhlig oft sind wir uns der Gruͤnde nicht ganz bewußt, <hi rendition="#b">wie</hi> und durch welche <hi rendition="#b">Mittelwege</hi> sie aus einem angenehmen Zustande in einen unangenehmen, und umgekehrt, <hi rendition="#b">uͤbergehen.</hi> Nach einem langen heftigen Schmerz unsrer Seele fuͤhlen wir oft auf einmal ein inneres Wohlbehagen; obgleich<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [101/0103]
lichem Mitleid, oder aus einer verstellten Theilnehmung ihr Gesicht in ernsthafte Falten zu legen suchen, was uns oft nicht anders als laͤcherlich vorkommen kann.
Zur Erlaͤuterung des Vorhergehenden will ich nur noch folgende Bemerkungen hinzusetzen, die sich von allen Menschen, doch nach den verschiednen Graden ihrer Empfindungsfaͤhigkeiten, und Organisation verschieden abstrahiren lassen. Wenn wir auf uns genau Acht geben, sonderlich wenn wir uns in dem Zustande gemischter Empfindungen befinden, — (und wahrscheinlich befinden wir uns immer darin, ob wir uns dieses Zustandes gleich nicht allemal deutlich bewust seyn koͤnnen; — ) so kann es uns nicht schwer werden zu bemerken, daß die Empfindungen des Angenehmen und Unangenehmen gar leicht in der Seele mit einander abwechseln, unbegreiflich schnell in einander uͤbergehen, und sich in einander aufloͤsen lassen — und zwar nicht immer nach einer Folge vorhergegangener deutlicher Vorstellungen daruͤber, sondern sehr oft durch einen ploͤtzlichen Tausch unsrer Gefuͤhle, um den wir uns keine Muͤhe gegeben hatten. Unzaͤhlig oft sind wir uns der Gruͤnde nicht ganz bewußt, wie und durch welche Mittelwege sie aus einem angenehmen Zustande in einen unangenehmen, und umgekehrt, uͤbergehen. Nach einem langen heftigen Schmerz unsrer Seele fuͤhlen wir oft auf einmal ein inneres Wohlbehagen; obgleich
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