Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.Endlich, und drittens möchte man aus diesem letzten Versuche noch eine andere und wichtige Folge ziehen: das junge Frauenzimmer hatte den sinnlichen Begrif des Legens der Hand auf die Brust ihrer Seele deutlich dargestellet, und konnte ihn auch in deutscher Sprache durch Schriftzeichen deutlich ausdrücken. Aber wie that sie dieses? Sie deutete nach dem natürlichen Gange der Begriffe zuerst die Hand an, welche handelte, hernach die Aktion des Legens, und endlich das Herz, auf welches die Hand gelegt ward. Jhr Ausdruck war deutlich, aber unvollkommen, ohne Artikel, ohne Hülfszeitwort, u.s.w. gerade so, wie man es von jemand, der eine Sache mit Mühe erkennt, und sich in einer Sprache mit Mühe ausdrückt, erwarten konnte. Nun ist es ausgemacht, daß die Begriffe von der Messe, von einem blutigen und unblutigen Opfer, vom neuen Testament u.s.w. viel verwickelter sind als von der sinnlichen Handlung, wenn man die Hand auf die Brust legt. Auch die leichtesten Sprüche aus dem Katechismus enthalten ungleich schwerere Begriffe. Und siehe da! über diese viel schwereren Begriffe drückten sich die Kinder in ganz richtig konstruirten Sätzen mit Artikeln, Beiwörtern, Hülfszeitwörtern und Beziehungen aus. Es scheint daraus ziemlich deutlich zu erhellen, daß diese Worte nicht aus dem Sinne der Kinder kamen, sondern daß Endlich, und drittens moͤchte man aus diesem letzten Versuche noch eine andere und wichtige Folge ziehen: das junge Frauenzimmer hatte den sinnlichen Begrif des Legens der Hand auf die Brust ihrer Seele deutlich dargestellet, und konnte ihn auch in deutscher Sprache durch Schriftzeichen deutlich ausdruͤcken. Aber wie that sie dieses? Sie deutete nach dem natuͤrlichen Gange der Begriffe zuerst die Hand an, welche handelte, hernach die Aktion des Legens, und endlich das Herz, auf welches die Hand gelegt ward. Jhr Ausdruck war deutlich, aber unvollkommen, ohne Artikel, ohne Huͤlfszeitwort, u.s.w. gerade so, wie man es von jemand, der eine Sache mit Muͤhe erkennt, und sich in einer Sprache mit Muͤhe ausdruͤckt, erwarten konnte. Nun ist es ausgemacht, daß die Begriffe von der Messe, von einem blutigen und unblutigen Opfer, vom neuen Testament u.s.w. viel verwickelter sind als von der sinnlichen Handlung, wenn man die Hand auf die Brust legt. Auch die leichtesten Spruͤche aus dem Katechismus enthalten ungleich schwerere Begriffe. Und siehe da! uͤber diese viel schwereren Begriffe druͤckten sich die Kinder in ganz richtig konstruirten Saͤtzen mit Artikeln, Beiwoͤrtern, Huͤlfszeitwoͤrtern und Beziehungen aus. Es scheint daraus ziemlich deutlich zu erhellen, daß diese Worte nicht aus dem Sinne der Kinder kamen, sondern daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0092" n="92"/><lb/> <p>Endlich, und drittens moͤchte man aus diesem letzten Versuche noch eine andere und wichtige Folge ziehen: das junge Frauenzimmer hatte den sinnlichen Begrif <hi rendition="#b">des Legens der Hand auf die Brust</hi> ihrer Seele deutlich dargestellet, und konnte ihn auch in deutscher Sprache durch Schriftzeichen deutlich ausdruͤcken. Aber wie that sie dieses? Sie deutete nach dem natuͤrlichen Gange der Begriffe zuerst die Hand an, welche <hi rendition="#b">handelte,</hi> hernach die Aktion des <hi rendition="#b">Legens,</hi> und endlich das <hi rendition="#b">Herz,</hi> auf welches die Hand gelegt ward. Jhr Ausdruck war deutlich, aber unvollkommen, ohne Artikel, ohne Huͤlfszeitwort, u.s.w. gerade so, wie man es von jemand, der eine Sache mit Muͤhe erkennt, und sich in einer Sprache mit Muͤhe ausdruͤckt, erwarten konnte. </p> <p>Nun ist es ausgemacht, daß die Begriffe von der <hi rendition="#b">Messe,</hi> von einem <hi rendition="#b">blutigen</hi> und <hi rendition="#b">unblutigen Opfer,</hi> vom <hi rendition="#b">neuen Testament</hi> u.s.w. <hi rendition="#b">viel verwickelter</hi> sind als von der <hi rendition="#b">sinnlichen Handlung,</hi> wenn man die Hand auf die Brust legt. Auch die leichtesten Spruͤche aus dem Katechismus enthalten ungleich schwerere Begriffe. Und siehe da! uͤber diese <hi rendition="#b">viel schwereren Begriffe</hi> druͤckten sich die Kinder in <hi rendition="#b">ganz richtig konstruirten Saͤtzen</hi> mit <hi rendition="#b">Artikeln, Beiwoͤrtern, Huͤlfszeitwoͤrtern</hi> und <hi rendition="#b">Beziehungen</hi> aus. Es scheint daraus ziemlich deutlich zu erhellen, daß diese <hi rendition="#b">Worte</hi> nicht aus dem Sinne der Kinder kamen, sondern daß<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0092]
Endlich, und drittens moͤchte man aus diesem letzten Versuche noch eine andere und wichtige Folge ziehen: das junge Frauenzimmer hatte den sinnlichen Begrif des Legens der Hand auf die Brust ihrer Seele deutlich dargestellet, und konnte ihn auch in deutscher Sprache durch Schriftzeichen deutlich ausdruͤcken. Aber wie that sie dieses? Sie deutete nach dem natuͤrlichen Gange der Begriffe zuerst die Hand an, welche handelte, hernach die Aktion des Legens, und endlich das Herz, auf welches die Hand gelegt ward. Jhr Ausdruck war deutlich, aber unvollkommen, ohne Artikel, ohne Huͤlfszeitwort, u.s.w. gerade so, wie man es von jemand, der eine Sache mit Muͤhe erkennt, und sich in einer Sprache mit Muͤhe ausdruͤckt, erwarten konnte.
Nun ist es ausgemacht, daß die Begriffe von der Messe, von einem blutigen und unblutigen Opfer, vom neuen Testament u.s.w. viel verwickelter sind als von der sinnlichen Handlung, wenn man die Hand auf die Brust legt. Auch die leichtesten Spruͤche aus dem Katechismus enthalten ungleich schwerere Begriffe. Und siehe da! uͤber diese viel schwereren Begriffe druͤckten sich die Kinder in ganz richtig konstruirten Saͤtzen mit Artikeln, Beiwoͤrtern, Huͤlfszeitwoͤrtern und Beziehungen aus. Es scheint daraus ziemlich deutlich zu erhellen, daß diese Worte nicht aus dem Sinne der Kinder kamen, sondern daß
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/92 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/92>, abgerufen am 26.07.2024. |