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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

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Darauf kam die Frage:

F. Was machen diese Herren?

Dieß machte ihr mehr Schwierigkeit als man anfänglich hätte glauben sollen. Man merkte bald: sie glaubte, das, was wir thaten, wäre ein Zeichen. Sie schien nicht darauf zu denken, daß sie beschreiben sollte, was wir thathen, sondern sie ließ vermuthlich alle willkührliche Zeichen von Worten oder Begriffen durch ihr Gedächtniß laufen, um unser vermeintes Zeichen deuten zu können. Man merkte dieß an ihrer sichtlichen Verlegenheit. Endlich begrif sie, daß man eine Beschreibung verlangte, und nun schrieb sie langsam, indem sie uns bei jedem Worte ansah:

Hand legen auf Herz.

Mir schien dieser kleine Versuch in mancherlei Betrachtung sehr merkwürdig. Fürs erste war nun wohl einzusehen, daß sie wirklich von der Handlung, die sie beschrieb, einen richtigen Begrif hatte; denn sie bestimmte sogar die linke Seite der Brust, wo die Hand lag. Fürs andere aber war doch auch ersichtlich, wie sehr leicht die pantomimischen Zeichen in Kollision kommen und undeutlich werden müssen. Der geringste abstrakte Begrif macht große Schwierigkeiten.

Man mag ihn durch ein Zeichen ausdrücken, welches man will, so ist dieses Zeichen selbst eine sinnliche Handlung. Daher folgt, daß die abstrakten Begriffe in der Zeichensprache fast nur me-


Darauf kam die Frage:

F. Was machen diese Herren?

Dieß machte ihr mehr Schwierigkeit als man anfaͤnglich haͤtte glauben sollen. Man merkte bald: sie glaubte, das, was wir thaten, waͤre ein Zeichen. Sie schien nicht darauf zu denken, daß sie beschreiben sollte, was wir thathen, sondern sie ließ vermuthlich alle willkuͤhrliche Zeichen von Worten oder Begriffen durch ihr Gedaͤchtniß laufen, um unser vermeintes Zeichen deuten zu koͤnnen. Man merkte dieß an ihrer sichtlichen Verlegenheit. Endlich begrif sie, daß man eine Beschreibung verlangte, und nun schrieb sie langsam, indem sie uns bei jedem Worte ansah:

Hand legen auf Herz.

Mir schien dieser kleine Versuch in mancherlei Betrachtung sehr merkwuͤrdig. Fuͤrs erste war nun wohl einzusehen, daß sie wirklich von der Handlung, die sie beschrieb, einen richtigen Begrif hatte; denn sie bestimmte sogar die linke Seite der Brust, wo die Hand lag. Fuͤrs andere aber war doch auch ersichtlich, wie sehr leicht die pantomimischen Zeichen in Kollision kommen und undeutlich werden muͤssen. Der geringste abstrakte Begrif macht große Schwierigkeiten.

Man mag ihn durch ein Zeichen ausdruͤcken, welches man will, so ist dieses Zeichen selbst eine sinnliche Handlung. Daher folgt, daß die abstrakten Begriffe in der Zeichensprache fast nur me-

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[89/0089] Darauf kam die Frage: F. Was machen diese Herren? Dieß machte ihr mehr Schwierigkeit als man anfaͤnglich haͤtte glauben sollen. Man merkte bald: sie glaubte, das, was wir thaten, waͤre ein Zeichen. Sie schien nicht darauf zu denken, daß sie beschreiben sollte, was wir thathen, sondern sie ließ vermuthlich alle willkuͤhrliche Zeichen von Worten oder Begriffen durch ihr Gedaͤchtniß laufen, um unser vermeintes Zeichen deuten zu koͤnnen. Man merkte dieß an ihrer sichtlichen Verlegenheit. Endlich begrif sie, daß man eine Beschreibung verlangte, und nun schrieb sie langsam, indem sie uns bei jedem Worte ansah: Hand legen auf Herz. Mir schien dieser kleine Versuch in mancherlei Betrachtung sehr merkwuͤrdig. Fuͤrs erste war nun wohl einzusehen, daß sie wirklich von der Handlung, die sie beschrieb, einen richtigen Begrif hatte; denn sie bestimmte sogar die linke Seite der Brust, wo die Hand lag. Fuͤrs andere aber war doch auch ersichtlich, wie sehr leicht die pantomimischen Zeichen in Kollision kommen und undeutlich werden muͤssen. Der geringste abstrakte Begrif macht große Schwierigkeiten. Man mag ihn durch ein Zeichen ausdruͤcken, welches man will, so ist dieses Zeichen selbst eine sinnliche Handlung. Daher folgt, daß die abstrakten Begriffe in der Zeichensprache fast nur me-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/89>, abgerufen am 06.05.2024.