Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Jch gab auch meinen Zweifel darüber zu erkennen. Der Herr Abbe Stork gab mir daher ein Buch voll Wörter, davon sie die Begriffe gelernt hätten, und bis M. inclusive gekommen wären. Aus diesen sollte ich ein Wort auslesen, und überzeugt werden, daß die Knaben den Begrif davon hätten. Es schien mir nun freilich ganz unschicklich, daß man den Kindern die Begriffe, die sie lernen sollten, einzeln und nach alphabetischer Ordnung der Wörter geordnet hatte. Es wäre wohl viel zweckmäßiger, wenn man ihnen die Begriffe, nicht in irgend einer Beziehung der Wörter aufeinander, sondern in der natürlichen Beziehung der Begriffe selbst, das heißt in kurzen Sätzen beigebracht hätte. Jndessen war dieß hier nicht auszumachen. Jch wählte das Wort: Messe. Herr Stork schrieb darauf an die Tafel: Fr. Was ist die Messe? Er ließ ein taubstummes junges Frauenzimmer dieß in Zeichen ablesen, und darauf schrieb er ein A. dar-
Jch gab auch meinen Zweifel daruͤber zu erkennen. Der Herr Abbé Stork gab mir daher ein Buch voll Woͤrter, davon sie die Begriffe gelernt haͤtten, und bis M. inclusive gekommen waͤren. Aus diesen sollte ich ein Wort auslesen, und uͤberzeugt werden, daß die Knaben den Begrif davon haͤtten. Es schien mir nun freilich ganz unschicklich, daß man den Kindern die Begriffe, die sie lernen sollten, einzeln und nach alphabetischer Ordnung der Woͤrter geordnet hatte. Es waͤre wohl viel zweckmaͤßiger, wenn man ihnen die Begriffe, nicht in irgend einer Beziehung der Woͤrter aufeinander, sondern in der natuͤrlichen Beziehung der Begriffe selbst, das heißt in kurzen Saͤtzen beigebracht haͤtte. Jndessen war dieß hier nicht auszumachen. Jch waͤhlte das Wort: Messe. Herr Stork schrieb darauf an die Tafel: Fr. Was ist die Messe? Er ließ ein taubstummes junges Frauenzimmer dieß in Zeichen ablesen, und darauf schrieb er ein A. dar- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0084" n="84"/><lb/> Schulen analisirt wird: <hi rendition="#aq">castra</hi> ist <hi rendition="#i">accusativi Casus, pluralis numeri</hi> u.s.w. Die <hi rendition="#b">Zeichen</hi> der Bestimmungen waͤren da auch ganz richtig, aber die Begriffe deshalb noch nicht. Der Knabe kann das Wort <hi rendition="#i">castra,</hi> oder irgend ein anderes richtig <hi rendition="#b">analisiren,</hi> und doch nur einen sehr mangelhaften <hi rendition="#b">Begrif</hi> von allen <hi rendition="#b">Bedeutungen</hi> dieses Worts haben. </p> <p>Jch gab auch meinen Zweifel daruͤber zu erkennen. Der Herr <hi rendition="#b">Abbé Stork</hi> gab mir daher ein <hi rendition="#b">Buch voll Woͤrter,</hi> davon sie die <hi rendition="#b">Begriffe</hi> gelernt haͤtten, <hi rendition="#b">und bis M.</hi> <hi rendition="#aq">inclusive</hi> <hi rendition="#b">gekommen waͤren.</hi> Aus diesen sollte ich ein <hi rendition="#b">Wort</hi> auslesen, und uͤberzeugt werden, daß die Knaben den <hi rendition="#b">Begrif</hi> davon haͤtten. Es schien mir nun freilich ganz unschicklich, daß man den Kindern die <hi rendition="#b">Begriffe,</hi> die sie lernen sollten, <hi rendition="#b">einzeln und nach alphabetischer Ordnung der Woͤrter</hi> geordnet hatte. Es waͤre wohl viel zweckmaͤßiger, wenn man ihnen die <hi rendition="#b">Begriffe,</hi> nicht in irgend einer Beziehung der <hi rendition="#b">Woͤrter</hi> aufeinander, sondern in der <hi rendition="#b">natuͤrlichen Beziehung der Begriffe selbst,</hi> das heißt in <hi rendition="#b">kurzen Saͤtzen</hi> beigebracht haͤtte. Jndessen war dieß hier nicht auszumachen. Jch waͤhlte das Wort: <hi rendition="#b">Messe.</hi> Herr <hi rendition="#b">Stork</hi> schrieb darauf an die Tafel: </p> <p rend="indention2">Fr. Was ist die Messe? </p> <p>Er ließ ein taubstummes junges Frauenzimmer dieß in Zeichen ablesen, und darauf schrieb er ein <hi rendition="#b">A.</hi> dar-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0084]
Schulen analisirt wird: castra ist accusativi Casus, pluralis numeri u.s.w. Die Zeichen der Bestimmungen waͤren da auch ganz richtig, aber die Begriffe deshalb noch nicht. Der Knabe kann das Wort castra, oder irgend ein anderes richtig analisiren, und doch nur einen sehr mangelhaften Begrif von allen Bedeutungen dieses Worts haben.
Jch gab auch meinen Zweifel daruͤber zu erkennen. Der Herr Abbé Stork gab mir daher ein Buch voll Woͤrter, davon sie die Begriffe gelernt haͤtten, und bis M. inclusive gekommen waͤren. Aus diesen sollte ich ein Wort auslesen, und uͤberzeugt werden, daß die Knaben den Begrif davon haͤtten. Es schien mir nun freilich ganz unschicklich, daß man den Kindern die Begriffe, die sie lernen sollten, einzeln und nach alphabetischer Ordnung der Woͤrter geordnet hatte. Es waͤre wohl viel zweckmaͤßiger, wenn man ihnen die Begriffe, nicht in irgend einer Beziehung der Woͤrter aufeinander, sondern in der natuͤrlichen Beziehung der Begriffe selbst, das heißt in kurzen Saͤtzen beigebracht haͤtte. Jndessen war dieß hier nicht auszumachen. Jch waͤhlte das Wort: Messe. Herr Stork schrieb darauf an die Tafel:
Fr. Was ist die Messe?
Er ließ ein taubstummes junges Frauenzimmer dieß in Zeichen ablesen, und darauf schrieb er ein A. dar-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/84>, abgerufen am 16.02.2025. |