Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Selbst Perriere sahe, wie ein von ihm geschriebener Brief durch die methodischen Zeichen einer Taubstummen diktirt wurde, und brach in die Worte aus: hätte ich es nicht gesehen, nie hätt' ich es geglaubt. Perriere hätte, welches wohl zu merken ist, diesen Brief auch seinen Schülern diktiren können, aber nur mit dem Unterschiede, daß er ihnen durch Hülfe der Daktilologie die einzelnen Buchstaben eines jeden Worts angezeigt hätte, die seine Schüler zwar nachgeschrieben, aber den Sinn dieser Reihe von Buchstaben nicht verstanden hätten. Die methodischen Zeichen hingegen sind keiner besondern Sprache eigen, sie bezeichnen kein Wort noch irgend einen Buchstaben, sondern drücken Jdeen aus, und wenn diese der Schüler verstanden hat, so kann er sie wiederum in seiner Sprache, es sei welche es wolle, ausdrücken, und dann ist es unmöglich, daß er den Sinn des Worts nicht fassen sollte, welches er sich selber zu schreiben wählet. Wie groß der Unterschied zwischen jener und dieser Methode zu diktiren sei, bemerkte Se. Kaiserliche Majestät beim ersten Anblick. Da ich nehmlich einer Taubstummen die Worte durch die Daktilologie diktirte: es sei ferne von mir, daß ich mich rühme, denn alleine in dem Creutz, und ihr befahl, daß sie den Sinn dieser Worte durch die
Selbst Perriere sahe, wie ein von ihm geschriebener Brief durch die methodischen Zeichen einer Taubstummen diktirt wurde, und brach in die Worte aus: haͤtte ich es nicht gesehen, nie haͤtt' ich es geglaubt. Perriere haͤtte, welches wohl zu merken ist, diesen Brief auch seinen Schuͤlern diktiren koͤnnen, aber nur mit dem Unterschiede, daß er ihnen durch Huͤlfe der Daktilologie die einzelnen Buchstaben eines jeden Worts angezeigt haͤtte, die seine Schuͤler zwar nachgeschrieben, aber den Sinn dieser Reihe von Buchstaben nicht verstanden haͤtten. Die methodischen Zeichen hingegen sind keiner besondern Sprache eigen, sie bezeichnen kein Wort noch irgend einen Buchstaben, sondern druͤcken Jdeen aus, und wenn diese der Schuͤler verstanden hat, so kann er sie wiederum in seiner Sprache, es sei welche es wolle, ausdruͤcken, und dann ist es unmoͤglich, daß er den Sinn des Worts nicht fassen sollte, welches er sich selber zu schreiben waͤhlet. Wie groß der Unterschied zwischen jener und dieser Methode zu diktiren sei, bemerkte Se. Kaiserliche Majestaͤt beim ersten Anblick. Da ich nehmlich einer Taubstummen die Worte durch die Daktilologie diktirte: es sei ferne von mir, daß ich mich ruͤhme, denn alleine in dem Creutz, und ihr befahl, daß sie den Sinn dieser Worte durch die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0078" n="78"/><lb/> sich nicht auf das Geruͤcht verlassen. Sie kommen voll Mißtrauen, aber sie gehen nicht so wieder weg. </p> <p>Selbst Perriere sahe, wie ein von ihm geschriebener Brief durch die methodischen Zeichen einer Taubstummen diktirt wurde, und brach in die Worte aus: haͤtte ich es nicht gesehen, nie haͤtt' ich es geglaubt. </p> <p>Perriere haͤtte, welches wohl zu merken ist, diesen Brief auch seinen Schuͤlern diktiren koͤnnen, aber nur mit dem Unterschiede, daß er ihnen durch Huͤlfe der Daktilologie die einzelnen Buchstaben eines jeden Worts angezeigt haͤtte, die seine Schuͤler zwar nachgeschrieben, aber den Sinn dieser Reihe von Buchstaben nicht verstanden haͤtten. </p> <p>Die methodischen Zeichen hingegen sind keiner besondern Sprache eigen, sie bezeichnen kein Wort noch irgend einen Buchstaben, sondern druͤcken Jdeen aus, und wenn diese der Schuͤler verstanden hat, so kann er sie wiederum in seiner Sprache, es sei welche es wolle, ausdruͤcken, und dann ist es unmoͤglich, daß er den Sinn des Worts nicht fassen sollte, welches er sich selber zu schreiben waͤhlet. </p> <p>Wie groß der Unterschied zwischen jener und dieser Methode zu diktiren sei, bemerkte Se. Kaiserliche Majestaͤt beim ersten Anblick. Da ich nehmlich einer Taubstummen die Worte durch die Daktilologie diktirte: es sei ferne von mir, daß ich mich ruͤhme, <hi rendition="#b">denn alleine in dem Creutz,</hi> und ihr befahl, daß sie den Sinn dieser Worte durch die<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0078]
sich nicht auf das Geruͤcht verlassen. Sie kommen voll Mißtrauen, aber sie gehen nicht so wieder weg.
Selbst Perriere sahe, wie ein von ihm geschriebener Brief durch die methodischen Zeichen einer Taubstummen diktirt wurde, und brach in die Worte aus: haͤtte ich es nicht gesehen, nie haͤtt' ich es geglaubt.
Perriere haͤtte, welches wohl zu merken ist, diesen Brief auch seinen Schuͤlern diktiren koͤnnen, aber nur mit dem Unterschiede, daß er ihnen durch Huͤlfe der Daktilologie die einzelnen Buchstaben eines jeden Worts angezeigt haͤtte, die seine Schuͤler zwar nachgeschrieben, aber den Sinn dieser Reihe von Buchstaben nicht verstanden haͤtten.
Die methodischen Zeichen hingegen sind keiner besondern Sprache eigen, sie bezeichnen kein Wort noch irgend einen Buchstaben, sondern druͤcken Jdeen aus, und wenn diese der Schuͤler verstanden hat, so kann er sie wiederum in seiner Sprache, es sei welche es wolle, ausdruͤcken, und dann ist es unmoͤglich, daß er den Sinn des Worts nicht fassen sollte, welches er sich selber zu schreiben waͤhlet.
Wie groß der Unterschied zwischen jener und dieser Methode zu diktiren sei, bemerkte Se. Kaiserliche Majestaͤt beim ersten Anblick. Da ich nehmlich einer Taubstummen die Worte durch die Daktilologie diktirte: es sei ferne von mir, daß ich mich ruͤhme, denn alleine in dem Creutz, und ihr befahl, daß sie den Sinn dieser Worte durch die
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/78>, abgerufen am 26.07.2024. |