Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Jch gestehe es gern, daß dazumal meine Absichten ganz auf sie und ihren völligen Besitz gingen. Jch hätte sie geheirathet, hätte ich hinlänglich Brodt, keine Eltern und weiter nichts zu bedenken gehabt. Jhr Fehltritt war ihr von mir längst verziehen; und nie würde ich denselben gerügt haben. Allein keine Aussichten anderwärts mein Brodt zu finden; in einer so kritischen Lage mit meinem angefangenen und auch wieder mißlungenen Werk -- sahe ich die Unmöglichkeit meines Verlangens wohl ein. Dazu kam noch die üble Nachrede -- ein solches Mädchen zu meiner Gattin gewählt zu haben; wenn auch sonst die Umstände die vortheilhaftesten in meiner Vaterstadt gewesen wären. Jhr schöner, wohlgebauter Körper mußte natürlich oft den Wunsch ihres ganzen Besitzes in mir rege machen, und diese Wünsche wurden oft so heftig, daß sie nicht selten in Murren und Wuth ausbrachen. So verging der Sommer unter Kummer, Sorgen und Berathschlagen, und unter den heftigsten Anfällen von Liebe, die nun
Jch gestehe es gern, daß dazumal meine Absichten ganz auf sie und ihren voͤlligen Besitz gingen. Jch haͤtte sie geheirathet, haͤtte ich hinlaͤnglich Brodt, keine Eltern und weiter nichts zu bedenken gehabt. Jhr Fehltritt war ihr von mir laͤngst verziehen; und nie wuͤrde ich denselben geruͤgt haben. Allein keine Aussichten anderwaͤrts mein Brodt zu finden; in einer so kritischen Lage mit meinem angefangenen und auch wieder mißlungenen Werk ― sahe ich die Unmoͤglichkeit meines Verlangens wohl ein. Dazu kam noch die uͤble Nachrede ― ein solches Maͤdchen zu meiner Gattin gewaͤhlt zu haben; wenn auch sonst die Umstaͤnde die vortheilhaftesten in meiner Vaterstadt gewesen waͤren. Jhr schoͤner, wohlgebauter Koͤrper mußte natuͤrlich oft den Wunsch ihres ganzen Besitzes in mir rege machen, und diese Wuͤnsche wurden oft so heftig, daß sie nicht selten in Murren und Wuth ausbrachen. So verging der Sommer unter Kummer, Sorgen und Berathschlagen, und unter den heftigsten Anfaͤllen von Liebe, die nun <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0068" n="68"/><lb/> ten zusammen. Jhr Herz war sehr gut, nur ein wenig zu eitel. Es fehlte ihr uͤberhaupt an Bildung, und haͤtte sie eine gute Erziehung gehabt, so haͤtte sie eine ganz gute Gattin und eine noch beßre Mutter abgegeben; denn sie hatte alles das Sanfte, Gefaͤllige, Duldende, was den Charakter einer guten Mutter ― dazu noch gerechnet ihre zaͤrtliche Kinderliebe ― ausmacht. </p> <p>Jch gestehe es gern, daß dazumal meine Absichten ganz auf sie und ihren voͤlligen Besitz gingen. Jch haͤtte sie geheirathet, haͤtte ich hinlaͤnglich Brodt, keine Eltern und weiter nichts zu bedenken gehabt. Jhr Fehltritt war ihr von mir laͤngst verziehen; und nie wuͤrde ich denselben geruͤgt haben. Allein keine Aussichten anderwaͤrts mein Brodt zu finden; in einer so kritischen Lage mit meinem angefangenen und auch wieder mißlungenen Werk ― sahe ich die Unmoͤglichkeit meines Verlangens wohl ein. Dazu kam noch die uͤble Nachrede ― ein <hi rendition="#b">solches</hi> Maͤdchen zu meiner Gattin gewaͤhlt zu haben; wenn auch sonst die Umstaͤnde die vortheilhaftesten in meiner Vaterstadt gewesen waͤren. Jhr schoͤner, wohlgebauter Koͤrper mußte natuͤrlich oft den Wunsch ihres ganzen Besitzes in mir rege machen, und diese Wuͤnsche wurden oft so heftig, daß sie nicht selten in Murren und Wuth ausbrachen. So verging der Sommer unter Kummer, Sorgen und Berathschlagen, und unter den heftigsten Anfaͤllen von Liebe, die nun<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [68/0068]
ten zusammen. Jhr Herz war sehr gut, nur ein wenig zu eitel. Es fehlte ihr uͤberhaupt an Bildung, und haͤtte sie eine gute Erziehung gehabt, so haͤtte sie eine ganz gute Gattin und eine noch beßre Mutter abgegeben; denn sie hatte alles das Sanfte, Gefaͤllige, Duldende, was den Charakter einer guten Mutter ― dazu noch gerechnet ihre zaͤrtliche Kinderliebe ― ausmacht.
Jch gestehe es gern, daß dazumal meine Absichten ganz auf sie und ihren voͤlligen Besitz gingen. Jch haͤtte sie geheirathet, haͤtte ich hinlaͤnglich Brodt, keine Eltern und weiter nichts zu bedenken gehabt. Jhr Fehltritt war ihr von mir laͤngst verziehen; und nie wuͤrde ich denselben geruͤgt haben. Allein keine Aussichten anderwaͤrts mein Brodt zu finden; in einer so kritischen Lage mit meinem angefangenen und auch wieder mißlungenen Werk ― sahe ich die Unmoͤglichkeit meines Verlangens wohl ein. Dazu kam noch die uͤble Nachrede ― ein solches Maͤdchen zu meiner Gattin gewaͤhlt zu haben; wenn auch sonst die Umstaͤnde die vortheilhaftesten in meiner Vaterstadt gewesen waͤren. Jhr schoͤner, wohlgebauter Koͤrper mußte natuͤrlich oft den Wunsch ihres ganzen Besitzes in mir rege machen, und diese Wuͤnsche wurden oft so heftig, daß sie nicht selten in Murren und Wuth ausbrachen. So verging der Sommer unter Kummer, Sorgen und Berathschlagen, und unter den heftigsten Anfaͤllen von Liebe, die nun
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/68>, abgerufen am 05.07.2024. |