Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Damals murrte ich zum erstenmahl wider Gott, daß er mir ein körperlich Leiden aufgelegt hatte, welches jetzt zum Vorwande dienen mußte, daß ich nicht angenommen werden konnte. Allein nachher erfuhr ich, daß bloß das daran schuld gewesen war, daß ich kein Lehrgeld geben konnte. Hier war denn also der erste Strich durch meine Rechnung gemacht, und ich wußte nicht, was ich anfangen sollte. Nach vielem Hin- und Hersinnen wünschte ich irgendwo Schreiber werden zu können. Aber meine Hand war schlecht; wer konnte mich brauchen, da ich nicht einmahl Rechtschreibung verstand? Jch fing an mich zu üben; las Bücher und bemerkte
Damals murrte ich zum erstenmahl wider Gott, daß er mir ein koͤrperlich Leiden aufgelegt hatte, welches jetzt zum Vorwande dienen mußte, daß ich nicht angenommen werden konnte. Allein nachher erfuhr ich, daß bloß das daran schuld gewesen war, daß ich kein Lehrgeld geben konnte. Hier war denn also der erste Strich durch meine Rechnung gemacht, und ich wußte nicht, was ich anfangen sollte. Nach vielem Hin- und Hersinnen wuͤnschte ich irgendwo Schreiber werden zu koͤnnen. Aber meine Hand war schlecht; wer konnte mich brauchen, da ich nicht einmahl Rechtschreibung verstand? Jch fing an mich zu uͤben; las Buͤcher und bemerkte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0054" n="54"/><lb/> wahren Urtheil zu entgehen, und weil es doch auch nun Zeit war, einen gewissen Stand zu waͤhlen, waͤhlte ich die Chirurgie. Vermuthlich, weil dieser Stand in seiner eigentlichen Bedeutung ― weniger ermuͤdend zu seyn schien, und, weil ich vielleicht in meinen Robinsonaden gelesen hatte, daß ein Schifschirurgus sein Gluͤck machen koͤnnte. Mein Ziel war also zur See zu gehen. Jch kam acht Tage auf die Probe. Mein Gesicht wurde probiert ― und fuͤr gut befunden ― weil ich im Stande bin, die Gegenstaͤnde in der Entfernung einer halben Stunde nicht bloß <hi rendition="#b">klar</hi>, sondern auch <hi rendition="#b">deutlich</hi> anzugeben. ― Es war an dem, daß ich aufgedungen werden sollte; als ein andrer kam und mich ausstach. </p> <p>Damals murrte ich zum erstenmahl wider Gott, daß er mir ein koͤrperlich Leiden aufgelegt hatte, welches jetzt zum Vorwande dienen mußte, daß ich nicht angenommen werden konnte. Allein nachher erfuhr ich, daß bloß das daran schuld gewesen war, daß ich kein Lehrgeld geben konnte. Hier war denn also der erste Strich durch meine Rechnung gemacht, und ich wußte nicht, was ich anfangen sollte. </p> <p>Nach vielem Hin- und Hersinnen wuͤnschte ich irgendwo Schreiber werden zu koͤnnen. Aber meine Hand war schlecht; wer konnte mich brauchen, da ich nicht einmahl Rechtschreibung verstand? Jch fing an mich zu uͤben; las Buͤcher und bemerkte<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0054]
wahren Urtheil zu entgehen, und weil es doch auch nun Zeit war, einen gewissen Stand zu waͤhlen, waͤhlte ich die Chirurgie. Vermuthlich, weil dieser Stand in seiner eigentlichen Bedeutung ― weniger ermuͤdend zu seyn schien, und, weil ich vielleicht in meinen Robinsonaden gelesen hatte, daß ein Schifschirurgus sein Gluͤck machen koͤnnte. Mein Ziel war also zur See zu gehen. Jch kam acht Tage auf die Probe. Mein Gesicht wurde probiert ― und fuͤr gut befunden ― weil ich im Stande bin, die Gegenstaͤnde in der Entfernung einer halben Stunde nicht bloß klar, sondern auch deutlich anzugeben. ― Es war an dem, daß ich aufgedungen werden sollte; als ein andrer kam und mich ausstach.
Damals murrte ich zum erstenmahl wider Gott, daß er mir ein koͤrperlich Leiden aufgelegt hatte, welches jetzt zum Vorwande dienen mußte, daß ich nicht angenommen werden konnte. Allein nachher erfuhr ich, daß bloß das daran schuld gewesen war, daß ich kein Lehrgeld geben konnte. Hier war denn also der erste Strich durch meine Rechnung gemacht, und ich wußte nicht, was ich anfangen sollte.
Nach vielem Hin- und Hersinnen wuͤnschte ich irgendwo Schreiber werden zu koͤnnen. Aber meine Hand war schlecht; wer konnte mich brauchen, da ich nicht einmahl Rechtschreibung verstand? Jch fing an mich zu uͤben; las Buͤcher und bemerkte
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/54>, abgerufen am 05.07.2024. |