Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Meine Eltern, die beide sehr gute Herzen, vielleicht zu gut, haben, thaten vielen Armen Gutes, borgten und liehen viel aus; ein Wort, ein Handschlag war ihnen genug, und -- wurden betrogen. Unser Weinlieferant, der meinem Vater immer für einige tausend Thaler vorstreckte, hatte den größten Nutzen davon, wenn viele Necker und Rheinweine abgingen; allein da der König gleich nach dem Kriege einen außerordentlich starken Jmpost darauf legte, so stieg natürlich der Preis derselben beim Wiederverkauf ziemlich hoch, und die Folge davon war: sie wurden hernach weniger gekauft. Da mein Vater aber natürlich darunter litt, so verschrieb er sich französische Weine, die viel wohlfeiler an Ort und Stelle -- und auch in Ansehung der Auflage waren. Darüber wurde der Lieferante genöthiget, meinem Vater das Conto
Meine Eltern, die beide sehr gute Herzen, vielleicht zu gut, haben, thaten vielen Armen Gutes, borgten und liehen viel aus; ein Wort, ein Handschlag war ihnen genug, und ― wurden betrogen. Unser Weinlieferant, der meinem Vater immer fuͤr einige tausend Thaler vorstreckte, hatte den groͤßten Nutzen davon, wenn viele Necker und Rheinweine abgingen; allein da der Koͤnig gleich nach dem Kriege einen außerordentlich starken Jmpost darauf legte, so stieg natuͤrlich der Preis derselben beim Wiederverkauf ziemlich hoch, und die Folge davon war: sie wurden hernach weniger gekauft. Da mein Vater aber natuͤrlich darunter litt, so verschrieb er sich franzoͤsische Weine, die viel wohlfeiler an Ort und Stelle ― und auch in Ansehung der Auflage waren. Daruͤber wurde der Lieferante genoͤthiget, meinem Vater das Conto <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0039" n="39"/><lb/> um die Knie dieses Barbaren geschlungen, und um das Leben unsers Vaters geflehet haͤtten, der unterdessen Zeit gewonnen hatte, zu entspringen. Ohne aber geruͤhrt zu werden, schleuderte er uns von sich, stieß meine Mutter zu Boden und eilte meinem Vater nach, der aber schon in Sicherheit war. Nun kam er zuruͤck, und zwang meine Mutter mitzugehen. Noch einige seines Gelichters haͤngten meiner Mutter, die hoch schwanger ging, vierundzwanzig Feldflaschen um, und stuͤrzten sie damit eine vierundzwanzig Stufen hohe Treppe hinunter, doch ohne ihr den mindesten Schaden zuzufuͤgen. ― </p> <p>Meine Eltern, die beide sehr gute Herzen, vielleicht zu gut, haben, thaten vielen Armen Gutes, borgten und liehen viel aus; ein Wort, ein Handschlag war ihnen genug, und ― wurden betrogen. Unser Weinlieferant, der meinem Vater immer fuͤr einige tausend Thaler vorstreckte, hatte den groͤßten Nutzen davon, wenn viele Necker und Rheinweine abgingen; allein da der Koͤnig gleich nach dem Kriege einen außerordentlich starken Jmpost darauf legte, so stieg natuͤrlich der Preis derselben beim Wiederverkauf ziemlich hoch, und die Folge davon war: sie wurden hernach weniger gekauft. Da mein Vater aber natuͤrlich darunter litt, so verschrieb er sich franzoͤsische Weine, die viel wohlfeiler an Ort und Stelle ― und auch in Ansehung der Auflage waren. Daruͤber wurde der Lieferante genoͤthiget, meinem Vater das Conto<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [39/0039]
um die Knie dieses Barbaren geschlungen, und um das Leben unsers Vaters geflehet haͤtten, der unterdessen Zeit gewonnen hatte, zu entspringen. Ohne aber geruͤhrt zu werden, schleuderte er uns von sich, stieß meine Mutter zu Boden und eilte meinem Vater nach, der aber schon in Sicherheit war. Nun kam er zuruͤck, und zwang meine Mutter mitzugehen. Noch einige seines Gelichters haͤngten meiner Mutter, die hoch schwanger ging, vierundzwanzig Feldflaschen um, und stuͤrzten sie damit eine vierundzwanzig Stufen hohe Treppe hinunter, doch ohne ihr den mindesten Schaden zuzufuͤgen. ―
Meine Eltern, die beide sehr gute Herzen, vielleicht zu gut, haben, thaten vielen Armen Gutes, borgten und liehen viel aus; ein Wort, ein Handschlag war ihnen genug, und ― wurden betrogen. Unser Weinlieferant, der meinem Vater immer fuͤr einige tausend Thaler vorstreckte, hatte den groͤßten Nutzen davon, wenn viele Necker und Rheinweine abgingen; allein da der Koͤnig gleich nach dem Kriege einen außerordentlich starken Jmpost darauf legte, so stieg natuͤrlich der Preis derselben beim Wiederverkauf ziemlich hoch, und die Folge davon war: sie wurden hernach weniger gekauft. Da mein Vater aber natuͤrlich darunter litt, so verschrieb er sich franzoͤsische Weine, die viel wohlfeiler an Ort und Stelle ― und auch in Ansehung der Auflage waren. Daruͤber wurde der Lieferante genoͤthiget, meinem Vater das Conto
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/39>, abgerufen am 05.07.2024. |