Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Betteln giebt einer jeden Seele eine fast unauslöschliche Bösartigkeit und Niedrigkeit. Das Herz des Menschen, der nur auf kurze Zeit sich hat überwinden können, andre um Brodt und Geld, nicht als Lohn von Arbeit, anzusprechen, bleibt für jede Verleitung zu den niedrigsten Handlungen nur gar zu gern offen.

Oft habe ich mich durch die Klagen eines verarmten Menschen bewegen lassen, ihm Beschäftigungen zuzuweisen, die seinen Fähigkeiten gemäß waren, und ihm ein hinlänglich Auskommen verschaften. Aber ich habe fast nimmer Dank und Freude daran gehabt.

Die Hand, die eine Zeitlang zum Betteln hingestreckt war, arbeitet nie mit Ernst wieder. Das Herz, dem es nicht mehr wehe that, Gaben von Unbekannten anzunehmen, schämet sich nicht leicht einer niedrigen Handlung wieder, wenn die Gelegenheit dazu entsteht, und Habsucht oder Sinnlichkeit dazu reizen.

Nur bei dem jungen Bettler ist Hofnung, daß es gelingen könne, diese häßliche Falte wieder auszuglätten. Daß es Alemann gelungen sei, davon will ich einen Beweiß geben, ehe ich beschreibe, wie es ihm gelungen sei.

Ein Bettelknabe ward aufgegriffen und in dieß Haus gebracht, wo er sich bald sehr gut betrug. Nach einiger Zeit bat er die Aufseherin des Hauses, ihm behülflich zu seyn, daß er sich recht rein-


Das Betteln giebt einer jeden Seele eine fast unausloͤschliche Boͤsartigkeit und Niedrigkeit. Das Herz des Menschen, der nur auf kurze Zeit sich hat uͤberwinden koͤnnen, andre um Brodt und Geld, nicht als Lohn von Arbeit, anzusprechen, bleibt fuͤr jede Verleitung zu den niedrigsten Handlungen nur gar zu gern offen.

Oft habe ich mich durch die Klagen eines verarmten Menschen bewegen lassen, ihm Beschaͤftigungen zuzuweisen, die seinen Faͤhigkeiten gemaͤß waren, und ihm ein hinlaͤnglich Auskommen verschaften. Aber ich habe fast nimmer Dank und Freude daran gehabt.

Die Hand, die eine Zeitlang zum Betteln hingestreckt war, arbeitet nie mit Ernst wieder. Das Herz, dem es nicht mehr wehe that, Gaben von Unbekannten anzunehmen, schaͤmet sich nicht leicht einer niedrigen Handlung wieder, wenn die Gelegenheit dazu entsteht, und Habsucht oder Sinnlichkeit dazu reizen.

Nur bei dem jungen Bettler ist Hofnung, daß es gelingen koͤnne, diese haͤßliche Falte wieder auszuglaͤtten. Daß es Alemann gelungen sei, davon will ich einen Beweiß geben, ehe ich beschreibe, wie es ihm gelungen sei.

Ein Bettelknabe ward aufgegriffen und in dieß Haus gebracht, wo er sich bald sehr gut betrug. Nach einiger Zeit bat er die Aufseherin des Hauses, ihm behuͤlflich zu seyn, daß er sich recht rein-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0111" n="111"/><lb/>
            <p>Das Betteln giebt einer jeden Seele eine fast unauslo&#x0364;schliche Bo&#x0364;sartigkeit                         und Niedrigkeit. Das Herz des Menschen, der nur auf kurze Zeit sich hat                         u&#x0364;berwinden ko&#x0364;nnen, andre um Brodt und Geld, nicht als Lohn von Arbeit,                         anzusprechen, bleibt fu&#x0364;r jede Verleitung zu den niedrigsten Handlungen nur                         gar zu gern offen. </p>
            <p>Oft habe ich mich durch die Klagen eines verarmten Menschen bewegen lassen,                         ihm Bescha&#x0364;ftigungen zuzuweisen, die seinen Fa&#x0364;higkeiten gema&#x0364;ß waren, und ihm                         ein hinla&#x0364;nglich Auskommen verschaften. Aber ich habe fast nimmer Dank und                         Freude daran gehabt. </p>
            <p>Die Hand, die eine Zeitlang zum Betteln hingestreckt war, arbeitet nie mit                         Ernst wieder. Das Herz, dem es nicht mehr wehe that, Gaben von Unbekannten                         anzunehmen, scha&#x0364;met sich nicht leicht einer niedrigen Handlung wieder, wenn                         die Gelegenheit dazu entsteht, und Habsucht oder Sinnlichkeit dazu reizen. </p>
            <p>Nur bei dem jungen Bettler ist Hofnung, daß es gelingen ko&#x0364;nne, diese ha&#x0364;ßliche                         Falte wieder auszugla&#x0364;tten. Daß es <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0140"><note type="editorial">Alemann,         Wilhelm August</note>Alemann</persName></hi> gelungen sei, davon will ich einen Beweiß                         geben, ehe ich beschreibe, wie es ihm gelungen sei. </p>
            <p>Ein Bettelknabe ward aufgegriffen und in dieß Haus gebracht, wo er sich bald                         sehr gut betrug. Nach einiger Zeit bat er die Aufseherin des Hauses, ihm                         behu&#x0364;lflich zu seyn, daß er sich recht rein-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0111] Das Betteln giebt einer jeden Seele eine fast unausloͤschliche Boͤsartigkeit und Niedrigkeit. Das Herz des Menschen, der nur auf kurze Zeit sich hat uͤberwinden koͤnnen, andre um Brodt und Geld, nicht als Lohn von Arbeit, anzusprechen, bleibt fuͤr jede Verleitung zu den niedrigsten Handlungen nur gar zu gern offen. Oft habe ich mich durch die Klagen eines verarmten Menschen bewegen lassen, ihm Beschaͤftigungen zuzuweisen, die seinen Faͤhigkeiten gemaͤß waren, und ihm ein hinlaͤnglich Auskommen verschaften. Aber ich habe fast nimmer Dank und Freude daran gehabt. Die Hand, die eine Zeitlang zum Betteln hingestreckt war, arbeitet nie mit Ernst wieder. Das Herz, dem es nicht mehr wehe that, Gaben von Unbekannten anzunehmen, schaͤmet sich nicht leicht einer niedrigen Handlung wieder, wenn die Gelegenheit dazu entsteht, und Habsucht oder Sinnlichkeit dazu reizen. Nur bei dem jungen Bettler ist Hofnung, daß es gelingen koͤnne, diese haͤßliche Falte wieder auszuglaͤtten. Daß es Alemann gelungen sei, davon will ich einen Beweiß geben, ehe ich beschreibe, wie es ihm gelungen sei. Ein Bettelknabe ward aufgegriffen und in dieß Haus gebracht, wo er sich bald sehr gut betrug. Nach einiger Zeit bat er die Aufseherin des Hauses, ihm behuͤlflich zu seyn, daß er sich recht rein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/111
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/111>, abgerufen am 27.04.2024.