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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

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Nachmittag darauf von ihm selbst wissen wollte, ob es wahr wäre, so antwortete er: Nein! und wiederholte es einigemal, bis ich ihn erinnerte, daß er unrecht thun würde, wenn er mir die Wahrheit verschwiege. Nun gestand er es mit der Bitte, daß ich den kleinen Thäter nicht strafen möchte. Welche Gutmüthigkeit in einem so zarten Alter! Und ich kann es hier nicht verschweigen, daß er es ist, den ich bei der ersten Schildrung im vorigen Stücke im Sinne hatte, daß er eben so wenig Beleidigungen vergelten würde, auch wenn er es könnte und wenn es ihm sogar erlaubt wäre.

Was aus ihm werden kann? -- Ein früh zur Ewigkeit gereifter Engel ist er geworden! und gleichwohl glaube ich, daß das Wenige, was ich von ihm gesagt habe, hier nicht ganz am unrechten Orte stehn soll. Vielleicht daß die Kräfte seiner Seele sich zu früh entwickelten! Vielleicht daß dieß einen ungemein zarten Nervenbau und eben dadurch einen schwächlichen Körper verrieth! und vielleicht daß dieß Anzeigen eines frühen Todes seyn konnten! Vor seiner Krankheit schon dachte er an seinen Tod. Einmal bat er seine Mutter, da sie mit seinen übrigen Geschwistern spatzieren ging und auch ihn mitnehmen wollte, daß er bei dem Mädchen zu Hause bleiben dürfe. Er zeichnete unterdessen einen Leichenwagen, so gut ers vermochte, zeigte den hernach seiner Mutter, und als diese ihn fragte, warum er grade so etwas gezeichnet habe,


Nachmittag darauf von ihm selbst wissen wollte, ob es wahr waͤre, so antwortete er: Nein! und wiederholte es einigemal, bis ich ihn erinnerte, daß er unrecht thun wuͤrde, wenn er mir die Wahrheit verschwiege. Nun gestand er es mit der Bitte, daß ich den kleinen Thaͤter nicht strafen moͤchte. Welche Gutmuͤthigkeit in einem so zarten Alter! Und ich kann es hier nicht verschweigen, daß er es ist, den ich bei der ersten Schildrung im vorigen Stuͤcke im Sinne hatte, daß er eben so wenig Beleidigungen vergelten wuͤrde, auch wenn er es koͤnnte und wenn es ihm sogar erlaubt waͤre.

Was aus ihm werden kann? ― Ein fruͤh zur Ewigkeit gereifter Engel ist er geworden! und gleichwohl glaube ich, daß das Wenige, was ich von ihm gesagt habe, hier nicht ganz am unrechten Orte stehn soll. Vielleicht daß die Kraͤfte seiner Seele sich zu fruͤh entwickelten! Vielleicht daß dieß einen ungemein zarten Nervenbau und eben dadurch einen schwaͤchlichen Koͤrper verrieth! und vielleicht daß dieß Anzeigen eines fruͤhen Todes seyn konnten! Vor seiner Krankheit schon dachte er an seinen Tod. Einmal bat er seine Mutter, da sie mit seinen uͤbrigen Geschwistern spatzieren ging und auch ihn mitnehmen wollte, daß er bei dem Maͤdchen zu Hause bleiben duͤrfe. Er zeichnete unterdessen einen Leichenwagen, so gut ers vermochte, zeigte den hernach seiner Mutter, und als diese ihn fragte, warum er grade so etwas gezeichnet habe,

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[107/0107] Nachmittag darauf von ihm selbst wissen wollte, ob es wahr waͤre, so antwortete er: Nein! und wiederholte es einigemal, bis ich ihn erinnerte, daß er unrecht thun wuͤrde, wenn er mir die Wahrheit verschwiege. Nun gestand er es mit der Bitte, daß ich den kleinen Thaͤter nicht strafen moͤchte. Welche Gutmuͤthigkeit in einem so zarten Alter! Und ich kann es hier nicht verschweigen, daß er es ist, den ich bei der ersten Schildrung im vorigen Stuͤcke im Sinne hatte, daß er eben so wenig Beleidigungen vergelten wuͤrde, auch wenn er es koͤnnte und wenn es ihm sogar erlaubt waͤre. Was aus ihm werden kann? ― Ein fruͤh zur Ewigkeit gereifter Engel ist er geworden! und gleichwohl glaube ich, daß das Wenige, was ich von ihm gesagt habe, hier nicht ganz am unrechten Orte stehn soll. Vielleicht daß die Kraͤfte seiner Seele sich zu fruͤh entwickelten! Vielleicht daß dieß einen ungemein zarten Nervenbau und eben dadurch einen schwaͤchlichen Koͤrper verrieth! und vielleicht daß dieß Anzeigen eines fruͤhen Todes seyn konnten! Vor seiner Krankheit schon dachte er an seinen Tod. Einmal bat er seine Mutter, da sie mit seinen uͤbrigen Geschwistern spatzieren ging und auch ihn mitnehmen wollte, daß er bei dem Maͤdchen zu Hause bleiben duͤrfe. Er zeichnete unterdessen einen Leichenwagen, so gut ers vermochte, zeigte den hernach seiner Mutter, und als diese ihn fragte, warum er grade so etwas gezeichnet habe,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/107>, abgerufen am 27.04.2024.