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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

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licher und eindrücklicher macht. Unrichtige Antworten auf die ihm vorgelegte Fragen giebt er sehr wenig; lieber sagt er grade heraus, daß er es nicht wisse; und ich denke, daß auch diese anscheinende Kleinigkeit von einem Lehrer nicht ohne Wohlgefallen bemerkt werden müsse, da sie wirklich einen festen, zuverläßigen Charakter verspricht. Er hat die Liebe aller seiner Mitschüler ohne Ausnahme, und kann zuweilen vieles - dadurch ausrichten. Er läßt sich aber in keinem Stücke von ihnen übertreffen. Er hat seine eigne Art zu handeln, die zuweilen ins drolligte fällt, und davon mag die folgende ein Beispiel seyn. Da er noch nicht Fertigkeit genug hatte, um eine kleine Fabel oder Erzählung, die ich zum Auswendiglernen diktirte, mitzuschreiben: so bat er mich um eine Abschrift. Jch versprach sie ihm den folgenden Tag mitzubringen. An Zutrauen und Liebe zu mir fehlte es ihm sicher nicht; aber er mußte wohl in einiger Verlegenheit seyn, wie er mich daran erinnern wollte. Er kam also zu mir, nannte meinen Namen, sah ernsthaft vor sich, und sagte weiter nichts, als: "Sie haben es wohl vergessen;" und da dieß wirklich geschehen war: so kam er zum zweitenmal mit eben der Frage zu mir; und dankte nun sehr herzlich, da ich ihm die Abschrift gab.

Einmal hatte ihm einer seiner Mitschüler beim Herausgehen aus der Schule einen Schlag gegeben; sein Bruder sagte es mir, und da ich den


licher und eindruͤcklicher macht. Unrichtige Antworten auf die ihm vorgelegte Fragen giebt er sehr wenig; lieber sagt er grade heraus, daß er es nicht wisse; und ich denke, daß auch diese anscheinende Kleinigkeit von einem Lehrer nicht ohne Wohlgefallen bemerkt werden muͤsse, da sie wirklich einen festen, zuverlaͤßigen Charakter verspricht. Er hat die Liebe aller seiner Mitschuͤler ohne Ausnahme, und kann zuweilen vieles - dadurch ausrichten. Er laͤßt sich aber in keinem Stuͤcke von ihnen uͤbertreffen. Er hat seine eigne Art zu handeln, die zuweilen ins drolligte faͤllt, und davon mag die folgende ein Beispiel seyn. Da er noch nicht Fertigkeit genug hatte, um eine kleine Fabel oder Erzaͤhlung, die ich zum Auswendiglernen diktirte, mitzuschreiben: so bat er mich um eine Abschrift. Jch versprach sie ihm den folgenden Tag mitzubringen. An Zutrauen und Liebe zu mir fehlte es ihm sicher nicht; aber er mußte wohl in einiger Verlegenheit seyn, wie er mich daran erinnern wollte. Er kam also zu mir, nannte meinen Namen, sah ernsthaft vor sich, und sagte weiter nichts, als: »Sie haben es wohl vergessen;« und da dieß wirklich geschehen war: so kam er zum zweitenmal mit eben der Frage zu mir; und dankte nun sehr herzlich, da ich ihm die Abschrift gab.

Einmal hatte ihm einer seiner Mitschuͤler beim Herausgehen aus der Schule einen Schlag gegeben; sein Bruder sagte es mir, und da ich den

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[106/0106] licher und eindruͤcklicher macht. Unrichtige Antworten auf die ihm vorgelegte Fragen giebt er sehr wenig; lieber sagt er grade heraus, daß er es nicht wisse; und ich denke, daß auch diese anscheinende Kleinigkeit von einem Lehrer nicht ohne Wohlgefallen bemerkt werden muͤsse, da sie wirklich einen festen, zuverlaͤßigen Charakter verspricht. Er hat die Liebe aller seiner Mitschuͤler ohne Ausnahme, und kann zuweilen vieles - dadurch ausrichten. Er laͤßt sich aber in keinem Stuͤcke von ihnen uͤbertreffen. Er hat seine eigne Art zu handeln, die zuweilen ins drolligte faͤllt, und davon mag die folgende ein Beispiel seyn. Da er noch nicht Fertigkeit genug hatte, um eine kleine Fabel oder Erzaͤhlung, die ich zum Auswendiglernen diktirte, mitzuschreiben: so bat er mich um eine Abschrift. Jch versprach sie ihm den folgenden Tag mitzubringen. An Zutrauen und Liebe zu mir fehlte es ihm sicher nicht; aber er mußte wohl in einiger Verlegenheit seyn, wie er mich daran erinnern wollte. Er kam also zu mir, nannte meinen Namen, sah ernsthaft vor sich, und sagte weiter nichts, als: »Sie haben es wohl vergessen;« und da dieß wirklich geschehen war: so kam er zum zweitenmal mit eben der Frage zu mir; und dankte nun sehr herzlich, da ich ihm die Abschrift gab. Einmal hatte ihm einer seiner Mitschuͤler beim Herausgehen aus der Schule einen Schlag gegeben; sein Bruder sagte es mir, und da ich den

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/106>, abgerufen am 21.11.2024.