Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.Als ich einige Monathe hindurch Prediger in Wolmirsleben gewesen war, brachte man diese Person nebst einem Stricke zu mir, mit welchem sie sich hatte erhenken wollen. Sie selbst gab zur Ursache an: daß sie gemeint, der neue Prediger solle sie mit andern Christen zum Abendmahle gehen lassen; weil sie sich aber ausgeschlossen sehe, so wolle sie auch nicht länger leben. Dieses bewog mich, sie mit unglaublicher Mühe zum heiligen Abendmahle zuzubereiten. Von Christo wußte sie vorher sehr wenig und vom heiligen Geiste *) gar nichts, und ich hatte viele Mühe, sie zu überführen, daß Diebstahl, Lügen und Zorn, nebst der daraus entspringenden Rachsucht, welche der Zunder ihrer Leidenschaften waren, Sünde wären. Tages nachher, als sie zum Abendmahle gewesen, und ich sie in meinem Garten arbeiten ließ, um sie eine zeitlang in meiner Aufsicht zu erhalten, erzählte sie den übrigen Mitarbeitern, was sie für Freude des vorigen Tages genossen; in der Nacht sey sie im Himmel gewesen, wo alles so herrlich ihr geschienen, daß sie nichts mehr wünsche, als beständig an dem Orte der Freuden zu wohnen. Sie fuhr fort, sich vernehmen zu lassen: da sie nun wisse, wie sie seelig werden könne, und da sie durch Christum Recht an dem Himmel habe; so *) Wird auch wohl nicht viel davon gelernt haben.
Als ich einige Monathe hindurch Prediger in Wolmirsleben gewesen war, brachte man diese Person nebst einem Stricke zu mir, mit welchem sie sich hatte erhenken wollen. Sie selbst gab zur Ursache an: daß sie gemeint, der neue Prediger solle sie mit andern Christen zum Abendmahle gehen lassen; weil sie sich aber ausgeschlossen sehe, so wolle sie auch nicht laͤnger leben. Dieses bewog mich, sie mit unglaublicher Muͤhe zum heiligen Abendmahle zuzubereiten. Von Christo wußte sie vorher sehr wenig und vom heiligen Geiste *) gar nichts, und ich hatte viele Muͤhe, sie zu uͤberfuͤhren, daß Diebstahl, Luͤgen und Zorn, nebst der daraus entspringenden Rachsucht, welche der Zunder ihrer Leidenschaften waren, Suͤnde waͤren. Tages nachher, als sie zum Abendmahle gewesen, und ich sie in meinem Garten arbeiten ließ, um sie eine zeitlang in meiner Aufsicht zu erhalten, erzaͤhlte sie den uͤbrigen Mitarbeitern, was sie fuͤr Freude des vorigen Tages genossen; in der Nacht sey sie im Himmel gewesen, wo alles so herrlich ihr geschienen, daß sie nichts mehr wuͤnsche, als bestaͤndig an dem Orte der Freuden zu wohnen. Sie fuhr fort, sich vernehmen zu lassen: da sie nun wisse, wie sie seelig werden koͤnne, und da sie durch Christum Recht an dem Himmel habe; so *) Wird auch wohl nicht viel davon gelernt haben.
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Als ich einige Monathe hindurch Prediger in Wolmirsleben gewesen war, brachte man diese Person nebst einem Stricke zu mir, mit welchem sie sich hatte erhenken wollen.
Sie selbst gab zur Ursache an: daß sie gemeint, der neue Prediger solle sie mit andern Christen zum Abendmahle gehen lassen; weil sie sich aber ausgeschlossen sehe, so wolle sie auch nicht laͤnger leben.
Dieses bewog mich, sie mit unglaublicher Muͤhe zum heiligen Abendmahle zuzubereiten.
Von Christo wußte sie vorher sehr wenig und vom heiligen Geiste *) gar nichts, und ich hatte viele Muͤhe, sie zu uͤberfuͤhren, daß Diebstahl, Luͤgen und Zorn, nebst der daraus entspringenden Rachsucht, welche der Zunder ihrer Leidenschaften waren, Suͤnde waͤren.
Tages nachher, als sie zum Abendmahle gewesen, und ich sie in meinem Garten arbeiten ließ, um sie eine zeitlang in meiner Aufsicht zu erhalten, erzaͤhlte sie den uͤbrigen Mitarbeitern, was sie fuͤr Freude des vorigen Tages genossen; in der Nacht sey sie im Himmel gewesen, wo alles so herrlich ihr geschienen, daß sie nichts mehr wuͤnsche, als bestaͤndig an dem Orte der Freuden zu wohnen.
Sie fuhr fort, sich vernehmen zu lassen: da sie nun wisse, wie sie seelig werden koͤnne, und da sie durch Christum Recht an dem Himmel habe; so
*) Wird auch wohl nicht viel davon gelernt haben.
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