Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


und Weiber, Alte und Junge, Vornehme und Geringe, die vergangene und künftige Zeit, alle Arten der Arbeit u.s.w. zu erkennen gab: da konnte man sie nicht nur bedeuten und in Ansehung des Lohns mit ihr handeln, sondern die Zeit wurde in ihrer Gesellschaft niemanden langweilig; sie berichtete Neuigkeiten; sie gab guten Rath und warnete vor Schaden; sie beklagte erlittenes Unrecht, und wenn sie nebst andern zugleich arbeitete, so verrieth sie ihre Mitarbeiter, wenn sie faul oder untreu gewesen waren.

Und weil man keine strengere Aufseherin sich wünschen konnte als diese war, so mußte man es als ein Glück ansehen, wenn man ihrer habhaft werden konnte.

Ueberdem war sie zornig, falsch und habsüchtig. Sie wieß und seufzete oft zum Himmel hinauf mit lauter Stimme; sie drohete auch bei dem Himmel und zuweilen faltete sie die Hände zum Gebet. Aber dieses war auch ihre ganze Theologie, so wie Mja ihre immerwährende Sprache ausmachte.

Jhre symbolische Sprache aber beruhete auf eben dem Grundsatze, der den Jnquisiten in Stand setzet, seine Gedanken kennbar zu machen, nehmlich: verwandele die Bilder deiner Phantasie in Gebehrden.

Jch habe oben bemerket, daß die Gedanken dieser Leute sehr lebhaft seyn müßten, weil sie aus lauter Gemälden der Phantasie bestehen.



und Weiber, Alte und Junge, Vornehme und Geringe, die vergangene und kuͤnftige Zeit, alle Arten der Arbeit u.s.w. zu erkennen gab: da konnte man sie nicht nur bedeuten und in Ansehung des Lohns mit ihr handeln, sondern die Zeit wurde in ihrer Gesellschaft niemanden langweilig; sie berichtete Neuigkeiten; sie gab guten Rath und warnete vor Schaden; sie beklagte erlittenes Unrecht, und wenn sie nebst andern zugleich arbeitete, so verrieth sie ihre Mitarbeiter, wenn sie faul oder untreu gewesen waren.

Und weil man keine strengere Aufseherin sich wuͤnschen konnte als diese war, so mußte man es als ein Gluͤck ansehen, wenn man ihrer habhaft werden konnte.

Ueberdem war sie zornig, falsch und habsuͤchtig. Sie wieß und seufzete oft zum Himmel hinauf mit lauter Stimme; sie drohete auch bei dem Himmel und zuweilen faltete sie die Haͤnde zum Gebet. Aber dieses war auch ihre ganze Theologie, so wie Mja ihre immerwaͤhrende Sprache ausmachte.

Jhre symbolische Sprache aber beruhete auf eben dem Grundsatze, der den Jnquisiten in Stand setzet, seine Gedanken kennbar zu machen, nehmlich: verwandele die Bilder deiner Phantasie in Gebehrden.

Jch habe oben bemerket, daß die Gedanken dieser Leute sehr lebhaft seyn muͤßten, weil sie aus lauter Gemaͤlden der Phantasie bestehen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0058" n="58"/><lb/>
und Weiber, Alte und Junge, Vornehme und                         Geringe, die vergangene und ku&#x0364;nftige Zeit, alle Arten der Arbeit u.s.w. zu                         erkennen gab: da konnte man sie nicht nur bedeuten und in Ansehung des Lohns                         mit ihr handeln, sondern die Zeit wurde in ihrer Gesellschaft niemanden                         langweilig; sie berichtete Neuigkeiten; sie gab guten Rath und warnete vor                         Schaden; sie beklagte erlittenes Unrecht, und wenn sie nebst andern zugleich                         arbeitete, so verrieth sie ihre Mitarbeiter, wenn sie faul oder untreu                         gewesen waren.</p>
            <p>Und weil man keine strengere Aufseherin sich wu&#x0364;nschen konnte als diese war,                         so mußte man es als ein Glu&#x0364;ck ansehen, wenn man ihrer habhaft werden                         konnte.</p>
            <p>Ueberdem war sie zornig, falsch und habsu&#x0364;chtig. Sie wieß und seufzete oft zum                         Himmel hinauf mit lauter Stimme; sie drohete auch bei dem Himmel und                         zuweilen faltete sie die Ha&#x0364;nde zum Gebet. Aber dieses war auch ihre ganze                         Theologie, so wie Mja ihre immerwa&#x0364;hrende Sprache ausmachte.</p>
            <p>Jhre symbolische Sprache aber beruhete auf eben dem Grundsatze, der den                         Jnquisiten in Stand setzet, seine Gedanken kennbar zu machen, nehmlich:                         verwandele die Bilder deiner Phantasie in Gebehrden.</p>
            <p>Jch habe oben bemerket, daß die Gedanken dieser Leute sehr lebhaft seyn                         mu&#x0364;ßten, weil sie aus lauter Gema&#x0364;lden der Phantasie bestehen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0058] und Weiber, Alte und Junge, Vornehme und Geringe, die vergangene und kuͤnftige Zeit, alle Arten der Arbeit u.s.w. zu erkennen gab: da konnte man sie nicht nur bedeuten und in Ansehung des Lohns mit ihr handeln, sondern die Zeit wurde in ihrer Gesellschaft niemanden langweilig; sie berichtete Neuigkeiten; sie gab guten Rath und warnete vor Schaden; sie beklagte erlittenes Unrecht, und wenn sie nebst andern zugleich arbeitete, so verrieth sie ihre Mitarbeiter, wenn sie faul oder untreu gewesen waren. Und weil man keine strengere Aufseherin sich wuͤnschen konnte als diese war, so mußte man es als ein Gluͤck ansehen, wenn man ihrer habhaft werden konnte. Ueberdem war sie zornig, falsch und habsuͤchtig. Sie wieß und seufzete oft zum Himmel hinauf mit lauter Stimme; sie drohete auch bei dem Himmel und zuweilen faltete sie die Haͤnde zum Gebet. Aber dieses war auch ihre ganze Theologie, so wie Mja ihre immerwaͤhrende Sprache ausmachte. Jhre symbolische Sprache aber beruhete auf eben dem Grundsatze, der den Jnquisiten in Stand setzet, seine Gedanken kennbar zu machen, nehmlich: verwandele die Bilder deiner Phantasie in Gebehrden. Jch habe oben bemerket, daß die Gedanken dieser Leute sehr lebhaft seyn muͤßten, weil sie aus lauter Gemaͤlden der Phantasie bestehen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/58
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/58>, abgerufen am 22.11.2024.