Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.Und es verhält sich in der That grade so. Von der Epoche unseres Sprachgebrauches an, kommt erst einiges Licht in die Geschichte unseres Lebens. Kein Mensch kann sich aus der Zeit vor seiner Bekanntschaft mit der Sprache, einer Begebenheit seiner Kindheit erinnern. Doch will ich nicht läugnen, daß es ein Erinnern überhaupt an vergangene Begebenheiten des Lebens auch ohne Sprache geben kann, die Thiere selbst besitzen ohne Sprache ein Gedächtniß; aber wer weiß denn, ob nicht selbst das Thier sein Gedächtniß vermöge einer thierischen uns unbekannten mechanischen Zeichensprache besitzt, die sich durch Mittheilung besserer Sprachorgane in eine würkliche äussere Wortsprache auflösen würde. II. Fortsetzung des Fragments aus Anton Reisers Lebensgeschichte. ![]() Bald darauf wurde er auch ohngeachtet alles seines Flehens und Bittens von seinem geliebten Schreibmeister getrennt. Und es verhaͤlt sich in der That grade so. Von der Epoche unseres Sprachgebrauches an, kommt erst einiges Licht in die Geschichte unseres Lebens. Kein Mensch kann sich aus der Zeit vor seiner Bekanntschaft mit der Sprache, einer Begebenheit seiner Kindheit erinnern. Doch will ich nicht laͤugnen, daß es ein Erinnern uͤberhaupt an vergangene Begebenheiten des Lebens auch ohne Sprache geben kann, die Thiere selbst besitzen ohne Sprache ein Gedaͤchtniß; aber wer weiß denn, ob nicht selbst das Thier sein Gedaͤchtniß vermoͤge einer thierischen uns unbekannten mechanischen Zeichensprache besitzt, die sich durch Mittheilung besserer Sprachorgane in eine wuͤrkliche aͤussere Wortsprache aufloͤsen wuͤrde. II. Fortsetzung des Fragments aus Anton Reisers Lebensgeschichte. ![]() Bald darauf wurde er auch ohngeachtet alles seines Flehens und Bittens von seinem geliebten Schreibmeister getrennt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0022" n="22"/><lb/> <p>Und es verhaͤlt sich in der That grade so. Von der Epoche unseres Sprachgebrauches an, kommt erst einiges Licht in die Geschichte unseres Lebens.</p> <p>Kein Mensch kann sich aus der <choice><corr>Zeit</corr><sic>Zeiten</sic></choice> vor seiner Bekanntschaft mit der Sprache, einer Begebenheit seiner Kindheit erinnern.</p> <p>Doch will ich nicht laͤugnen, daß es ein Erinnern <hi rendition="#b">uͤberhaupt</hi> an vergangene Begebenheiten des Lebens auch <hi rendition="#b">ohne Sprache</hi> geben kann, die Thiere selbst besitzen <hi rendition="#b">ohne Sprache</hi> ein Gedaͤchtniß; aber wer weiß denn, ob nicht selbst das <hi rendition="#b">Thier sein Gedaͤchtniß vermoͤge einer thierischen</hi> uns unbekannten mechanischen Zeichensprache besitzt, die sich durch Mittheilung besserer Sprachorgane in eine wuͤrkliche <hi rendition="#b">aͤussere Wortsprache</hi> aufloͤsen wuͤrde.</p> <p rendition="#right"> <hi rendition="#b"> <persName ref="#ref0002"><note type="editorial">Pockels, Carl Friedrich</note>C. F. Pockels.</persName> </hi> </p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="3"> <head><hi rendition="#aq">II</hi>. Fortsetzung des Fragments aus Anton Reisers Lebensgeschichte. <note type="editorial"><bibl><persName ref="#ref1"><note type="editorial"/>Moritz, Karl Philipp</persName></bibl></note> S. 2 ten B. 1 stes St. p. 76.)</head><lb/> <p>Bald darauf wurde er auch ohngeachtet alles seines Flehens und Bittens von seinem geliebten Schreibmeister getrennt.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [22/0022]
Und es verhaͤlt sich in der That grade so. Von der Epoche unseres Sprachgebrauches an, kommt erst einiges Licht in die Geschichte unseres Lebens.
Kein Mensch kann sich aus der Zeit vor seiner Bekanntschaft mit der Sprache, einer Begebenheit seiner Kindheit erinnern.
Doch will ich nicht laͤugnen, daß es ein Erinnern uͤberhaupt an vergangene Begebenheiten des Lebens auch ohne Sprache geben kann, die Thiere selbst besitzen ohne Sprache ein Gedaͤchtniß; aber wer weiß denn, ob nicht selbst das Thier sein Gedaͤchtniß vermoͤge einer thierischen uns unbekannten mechanischen Zeichensprache besitzt, die sich durch Mittheilung besserer Sprachorgane in eine wuͤrkliche aͤussere Wortsprache aufloͤsen wuͤrde.
C. F. Pockels.
II. Fortsetzung des Fragments aus Anton Reisers Lebensgeschichte. S. 2 ten B. 1 stes St. p. 76.)
Bald darauf wurde er auch ohngeachtet alles seines Flehens und Bittens von seinem geliebten Schreibmeister getrennt.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/22>, abgerufen am 05.07.2024. |