Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.
Der nun beruhigte Alte war so froh, daß er sich Kräfte wünschte, dem besten Fürsten sich zu Füßen zu werfen, und ihm für die seinem Sohne erwiesene unverdiente Gnade danken zu können. Zween Tage vor seinem Ende nahm der Unglückliche, in Gegenwart seines Beichtvaters, von seiner Frau und Kindern einen Abschied, der nicht zärtlicher und rührender seyn konnte. Die Worte flossen ihm jetzt nicht, weil sein Herz zu beklemmt war und zu viel litte; seine Frau aber, die zu wiederholtenmalen bezeugte, daß er ihr niemal etwas zu leide gethan habe, konnte sich kaum von ihm losreissen, und sein jüngstes Kind nahm er auf den Schooß, und drückte es so weich an seine Brust, daß alle Anwesende mit ihm weinen mußten. Von allen nahm er einzeln Abschied, aber seine Minen redeten mehr, als sein Mund. Er versicherte den Morgen darauf, daß er in diesen Empfindungen zu väterlichen Vermahnungen unvermögend gewesen wäre, durch eine Tochter
Der nun beruhigte Alte war so froh, daß er sich Kraͤfte wuͤnschte, dem besten Fuͤrsten sich zu Fuͤßen zu werfen, und ihm fuͤr die seinem Sohne erwiesene unverdiente Gnade danken zu koͤnnen. Zween Tage vor seinem Ende nahm der Ungluͤckliche, in Gegenwart seines Beichtvaters, von seiner Frau und Kindern einen Abschied, der nicht zaͤrtlicher und ruͤhrender seyn konnte. Die Worte flossen ihm jetzt nicht, weil sein Herz zu beklemmt war und zu viel litte; seine Frau aber, die zu wiederholtenmalen bezeugte, daß er ihr niemal etwas zu leide gethan habe, konnte sich kaum von ihm losreissen, und sein juͤngstes Kind nahm er auf den Schooß, und druͤckte es so weich an seine Brust, daß alle Anwesende mit ihm weinen mußten. Von allen nahm er einzeln Abschied, aber seine Minen redeten mehr, als sein Mund. Er versicherte den Morgen darauf, daß er in diesen Empfindungen zu vaͤterlichen Vermahnungen unvermoͤgend gewesen waͤre, durch eine Tochter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0106" n="106"/><lb/> rend bat, seines Endes wegen sich zu beruhigen: da er versichert sey, daß er Vergebung und Gnade von Gott habe, und ihn bat, seiner Kinder sich noch ferner anzunehmen, daß der Greis auch willigst zusagte, und der Sohn ihm hingegen versprach, daß er auch seinen Kindern, dessen Enkeln, beim Abschied von ihm anbefehlen wolle, ihm in allen gehorsam und beistaͤndig zu seyn.</p> <p>Der nun beruhigte Alte war so froh, daß er sich Kraͤfte wuͤnschte, dem besten Fuͤrsten sich zu Fuͤßen zu werfen, und ihm fuͤr die seinem Sohne erwiesene unverdiente Gnade danken zu koͤnnen.</p> <p>Zween Tage vor seinem Ende nahm der Ungluͤckliche, in Gegenwart seines Beichtvaters, von seiner Frau und Kindern einen Abschied, der nicht zaͤrtlicher und ruͤhrender seyn konnte.</p> <p>Die Worte flossen ihm jetzt nicht, weil sein Herz zu beklemmt war und zu viel litte; seine Frau aber, die zu wiederholtenmalen bezeugte, daß er ihr niemal etwas zu leide gethan habe, konnte sich kaum von ihm losreissen, und sein juͤngstes Kind nahm er auf den Schooß, und druͤckte es so weich an seine Brust, daß alle Anwesende mit ihm weinen mußten.</p> <p>Von allen nahm er einzeln Abschied, aber seine Minen redeten mehr, als sein Mund.</p> <p>Er versicherte den Morgen darauf, daß er in diesen Empfindungen zu vaͤterlichen Vermahnungen unvermoͤgend gewesen waͤre, durch eine Tochter<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [106/0106]
rend bat, seines Endes wegen sich zu beruhigen: da er versichert sey, daß er Vergebung und Gnade von Gott habe, und ihn bat, seiner Kinder sich noch ferner anzunehmen, daß der Greis auch willigst zusagte, und der Sohn ihm hingegen versprach, daß er auch seinen Kindern, dessen Enkeln, beim Abschied von ihm anbefehlen wolle, ihm in allen gehorsam und beistaͤndig zu seyn.
Der nun beruhigte Alte war so froh, daß er sich Kraͤfte wuͤnschte, dem besten Fuͤrsten sich zu Fuͤßen zu werfen, und ihm fuͤr die seinem Sohne erwiesene unverdiente Gnade danken zu koͤnnen.
Zween Tage vor seinem Ende nahm der Ungluͤckliche, in Gegenwart seines Beichtvaters, von seiner Frau und Kindern einen Abschied, der nicht zaͤrtlicher und ruͤhrender seyn konnte.
Die Worte flossen ihm jetzt nicht, weil sein Herz zu beklemmt war und zu viel litte; seine Frau aber, die zu wiederholtenmalen bezeugte, daß er ihr niemal etwas zu leide gethan habe, konnte sich kaum von ihm losreissen, und sein juͤngstes Kind nahm er auf den Schooß, und druͤckte es so weich an seine Brust, daß alle Anwesende mit ihm weinen mußten.
Von allen nahm er einzeln Abschied, aber seine Minen redeten mehr, als sein Mund.
Er versicherte den Morgen darauf, daß er in diesen Empfindungen zu vaͤterlichen Vermahnungen unvermoͤgend gewesen waͤre, durch eine Tochter
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