Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.
Jn dieser Woche nehmen die Kopfschmerzen zu, er klagt dabei von Tage zu Tage über mehrere Mattigkeit, arbeitet aber doch noch die Woche auf dem Gestelle bis auf den Freitag. Nachdem er an diesem Tage des Morgens aufgestanden, läßt er sich das Bette in die Stube bringen, declarirt gegen jedermann, daß er Morgen Abend um zehn Uhr sterben werde, und verlangt von seinem Beichtvater das heilige Abendmahl, das ihm auch gereicht wird, und wobei er sich nach dem Urtheil aller Anwesenden mit Beten und Singen und sonst ordentlich und vernünftig verhält. Unterdessen kommt sein Vater nach Hause, der bei einem auswärtigen Medico sich Raths erhohlet hat. Er läßt sich zwar wohl einen Umschlag wider die Kopfschmerzen um den Kopf binden, nimmt aber innerlich nichts, sondern bleibt dabei, er müsse Morgen Abend um zehn Uhr sterben. Die folgende Nacht hindurch bringt er mit unterbrochenem Schlummer zu. Beim Erwachen sagt er, er wäre bei den Engeln im Himmel gewesen, und als er das Blasen der Musikanten ohnweit seiner Nachbarschaft hört, versichert er, daß die Engel im Himmel viel schönere Musik machten. Endlich zeigt sich den Sonnabend ein offenbares Delirium, in dem er beständig mit den Fin-
Jn dieser Woche nehmen die Kopfschmerzen zu, er klagt dabei von Tage zu Tage uͤber mehrere Mattigkeit, arbeitet aber doch noch die Woche auf dem Gestelle bis auf den Freitag. Nachdem er an diesem Tage des Morgens aufgestanden, laͤßt er sich das Bette in die Stube bringen, declarirt gegen jedermann, daß er Morgen Abend um zehn Uhr sterben werde, und verlangt von seinem Beichtvater das heilige Abendmahl, das ihm auch gereicht wird, und wobei er sich nach dem Urtheil aller Anwesenden mit Beten und Singen und sonst ordentlich und vernuͤnftig verhaͤlt. Unterdessen kommt sein Vater nach Hause, der bei einem auswaͤrtigen Medico sich Raths erhohlet hat. Er laͤßt sich zwar wohl einen Umschlag wider die Kopfschmerzen um den Kopf binden, nimmt aber innerlich nichts, sondern bleibt dabei, er muͤsse Morgen Abend um zehn Uhr sterben. Die folgende Nacht hindurch bringt er mit unterbrochenem Schlummer zu. Beim Erwachen sagt er, er waͤre bei den Engeln im Himmel gewesen, und als er das Blasen der Musikanten ohnweit seiner Nachbarschaft hoͤrt, versichert er, daß die Engel im Himmel viel schoͤnere Musik machten. Endlich zeigt sich den Sonnabend ein offenbares Delirium, in dem er bestaͤndig mit den Fin- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0076" n="74"/><lb/> Fieber gestorben war, und sagt zu seinen Freunden: »auf kuͤnftigen Sonntag koͤnnt ihr mich auch hieher tragen«. </p> <p>Jn dieser Woche nehmen die Kopfschmerzen zu, er klagt dabei von Tage zu Tage uͤber mehrere Mattigkeit, arbeitet aber doch noch die Woche auf dem Gestelle bis auf den Freitag. Nachdem er an diesem Tage des Morgens aufgestanden, laͤßt er sich das Bette in die Stube bringen, declarirt gegen jedermann, daß er Morgen Abend um zehn Uhr sterben werde, und verlangt von seinem Beichtvater das heilige Abendmahl, das ihm auch gereicht wird, und wobei er sich nach dem Urtheil aller Anwesenden mit Beten und Singen und sonst ordentlich und vernuͤnftig verhaͤlt. </p> <p>Unterdessen kommt sein Vater nach Hause, der bei einem auswaͤrtigen Medico sich Raths erhohlet hat. Er laͤßt sich zwar wohl einen Umschlag wider die Kopfschmerzen um den Kopf binden, nimmt aber innerlich nichts, sondern bleibt dabei, er muͤsse Morgen Abend um zehn Uhr sterben. </p> <p>Die folgende Nacht hindurch bringt er mit unterbrochenem Schlummer zu. Beim Erwachen sagt er, er waͤre bei den Engeln im Himmel gewesen, und als er das Blasen der Musikanten ohnweit seiner Nachbarschaft hoͤrt, versichert er, daß die Engel im Himmel viel schoͤnere Musik machten. Endlich zeigt sich den Sonnabend ein offenbares Delirium, in dem er bestaͤndig mit den Fin-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [74/0076]
Fieber gestorben war, und sagt zu seinen Freunden: »auf kuͤnftigen Sonntag koͤnnt ihr mich auch hieher tragen«.
Jn dieser Woche nehmen die Kopfschmerzen zu, er klagt dabei von Tage zu Tage uͤber mehrere Mattigkeit, arbeitet aber doch noch die Woche auf dem Gestelle bis auf den Freitag. Nachdem er an diesem Tage des Morgens aufgestanden, laͤßt er sich das Bette in die Stube bringen, declarirt gegen jedermann, daß er Morgen Abend um zehn Uhr sterben werde, und verlangt von seinem Beichtvater das heilige Abendmahl, das ihm auch gereicht wird, und wobei er sich nach dem Urtheil aller Anwesenden mit Beten und Singen und sonst ordentlich und vernuͤnftig verhaͤlt.
Unterdessen kommt sein Vater nach Hause, der bei einem auswaͤrtigen Medico sich Raths erhohlet hat. Er laͤßt sich zwar wohl einen Umschlag wider die Kopfschmerzen um den Kopf binden, nimmt aber innerlich nichts, sondern bleibt dabei, er muͤsse Morgen Abend um zehn Uhr sterben.
Die folgende Nacht hindurch bringt er mit unterbrochenem Schlummer zu. Beim Erwachen sagt er, er waͤre bei den Engeln im Himmel gewesen, und als er das Blasen der Musikanten ohnweit seiner Nachbarschaft hoͤrt, versichert er, daß die Engel im Himmel viel schoͤnere Musik machten. Endlich zeigt sich den Sonnabend ein offenbares Delirium, in dem er bestaͤndig mit den Fin-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/76>, abgerufen am 16.02.2025. |