Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.
Er war ein Zwillingssohn eines hiesigen Raschmachers von gutem Vermögen, und er hatte seines Vaters Handwerk erlernet. Ueber ein halbes Jahr lang hatte derselbe über öftere, jedoch erträgliche Kopfschmerzen geklagt, und dennoch nichts dagegen gebraucht, als daß er einigemal sich schröpfen lassen und purgiret hatte. Bei allen dem hat er sein erlerntes Handwerk in dieser Zeit ordentlich fortgetrieben, neben her noch andere häußliche Geschäfte, woran er Vergnügen gehabt, abgewartet, und ist dabei kein Feind von Gesellschaften gewesen, sondern hat alle die Vergnügungen mit seinen Freunden und Bekannten, jedoch ohne Ausschweifung mitgemacht, denen Leute von seinem Alter gewöhnlich ergeben sind. Den letzten Pfingsttag und also kurz vor seinem Ende, geht er noch mit einer starken Gesellschaft seiner Bekannten auf ein nahes Dorf, und macht sich mit Tanzen recht lustig, schweift aber weder im Trinken, noch in andern Stücken aus, verläßt auch die Gesellschaft zu rechter Zeit, und kehrt noch bei Tage nach Hause. Kurz, man hat in keinem Stücke etwas melancholisches an ihm bemerken können. Den letzten Sonntag vor seinem Ende geht er spatzieren, er kömmt auf den Kirchhof, geht bei seines Bruders Grab, welcher vor sieben Jahren an einem hitzigen
Er war ein Zwillingssohn eines hiesigen Raschmachers von gutem Vermoͤgen, und er hatte seines Vaters Handwerk erlernet. Ueber ein halbes Jahr lang hatte derselbe uͤber oͤftere, jedoch ertraͤgliche Kopfschmerzen geklagt, und dennoch nichts dagegen gebraucht, als daß er einigemal sich schroͤpfen lassen und purgiret hatte. Bei allen dem hat er sein erlerntes Handwerk in dieser Zeit ordentlich fortgetrieben, neben her noch andere haͤußliche Geschaͤfte, woran er Vergnuͤgen gehabt, abgewartet, und ist dabei kein Feind von Gesellschaften gewesen, sondern hat alle die Vergnuͤgungen mit seinen Freunden und Bekannten, jedoch ohne Ausschweifung mitgemacht, denen Leute von seinem Alter gewoͤhnlich ergeben sind. Den letzten Pfingsttag und also kurz vor seinem Ende, geht er noch mit einer starken Gesellschaft seiner Bekannten auf ein nahes Dorf, und macht sich mit Tanzen recht lustig, schweift aber weder im Trinken, noch in andern Stuͤcken aus, verlaͤßt auch die Gesellschaft zu rechter Zeit, und kehrt noch bei Tage nach Hause. Kurz, man hat in keinem Stuͤcke etwas melancholisches an ihm bemerken koͤnnen. Den letzten Sonntag vor seinem Ende geht er spatzieren, er koͤmmt auf den Kirchhof, geht bei seines Bruders Grab, welcher vor sieben Jahren an einem hitzigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0075" n="73"/><lb/> Mensch von vier und zwanzig Jahren, und die Art seines Todes machte einiges Aufsehen. </p> <p>Er war ein Zwillingssohn eines hiesigen Raschmachers von gutem Vermoͤgen, und er hatte seines Vaters Handwerk erlernet. Ueber ein halbes Jahr lang hatte derselbe uͤber oͤftere, jedoch ertraͤgliche Kopfschmerzen geklagt, und dennoch nichts dagegen gebraucht, als daß er einigemal sich schroͤpfen lassen und purgiret hatte. Bei allen dem hat er sein erlerntes Handwerk in dieser Zeit ordentlich fortgetrieben, neben her noch andere haͤußliche Geschaͤfte, woran er Vergnuͤgen gehabt, abgewartet, und ist dabei kein Feind von Gesellschaften gewesen, sondern hat alle die Vergnuͤgungen mit seinen Freunden und Bekannten, jedoch ohne Ausschweifung mitgemacht, denen Leute von seinem Alter gewoͤhnlich ergeben sind. </p> <p>Den letzten Pfingsttag und also kurz vor seinem Ende, geht er noch mit einer starken Gesellschaft seiner Bekannten auf ein nahes Dorf, und macht sich mit Tanzen recht lustig, schweift aber weder im Trinken, noch in andern Stuͤcken aus, verlaͤßt auch die Gesellschaft zu rechter Zeit, und kehrt noch bei Tage nach Hause. </p> <p>Kurz, man hat in keinem Stuͤcke etwas melancholisches an ihm bemerken koͤnnen. Den letzten Sonntag vor seinem Ende geht er spatzieren, er koͤmmt auf den Kirchhof, geht bei seines Bruders Grab, welcher vor sieben Jahren an einem hitzigen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [73/0075]
Mensch von vier und zwanzig Jahren, und die Art seines Todes machte einiges Aufsehen.
Er war ein Zwillingssohn eines hiesigen Raschmachers von gutem Vermoͤgen, und er hatte seines Vaters Handwerk erlernet. Ueber ein halbes Jahr lang hatte derselbe uͤber oͤftere, jedoch ertraͤgliche Kopfschmerzen geklagt, und dennoch nichts dagegen gebraucht, als daß er einigemal sich schroͤpfen lassen und purgiret hatte. Bei allen dem hat er sein erlerntes Handwerk in dieser Zeit ordentlich fortgetrieben, neben her noch andere haͤußliche Geschaͤfte, woran er Vergnuͤgen gehabt, abgewartet, und ist dabei kein Feind von Gesellschaften gewesen, sondern hat alle die Vergnuͤgungen mit seinen Freunden und Bekannten, jedoch ohne Ausschweifung mitgemacht, denen Leute von seinem Alter gewoͤhnlich ergeben sind.
Den letzten Pfingsttag und also kurz vor seinem Ende, geht er noch mit einer starken Gesellschaft seiner Bekannten auf ein nahes Dorf, und macht sich mit Tanzen recht lustig, schweift aber weder im Trinken, noch in andern Stuͤcken aus, verlaͤßt auch die Gesellschaft zu rechter Zeit, und kehrt noch bei Tage nach Hause.
Kurz, man hat in keinem Stuͤcke etwas melancholisches an ihm bemerken koͤnnen. Den letzten Sonntag vor seinem Ende geht er spatzieren, er koͤmmt auf den Kirchhof, geht bei seines Bruders Grab, welcher vor sieben Jahren an einem hitzigen
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/75>, abgerufen am 16.02.2025. |