Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


sogar den kleinen M. oft liebkosen? Warum dies thun, wenn er eben vorher auf seiner Stube eine Grausamkeit gegen ihn ausgeübt hatte? Warum den Kindern nach Verübung derselben so scharf einbinden, daß sie nichts sagen sollten, oder er wollte sie massakriren. Er war sich also nicht allein bewußt, daß er es gethan hatte, sondern er wußte auch, daß es etwas schreckliches war. Sollte sich dies so allerdings mit dem Karakter derer Leute reimen lassen, von denen man sagt, sie hätten schlimme Jntervalla -- --

So weit der Mann, bey dem Herr G. Hofmeister war. Was ich nun noch hinzuzufügen nöthig finde, ist folgendes: Herr G. mußte zwey Tage darauf abreisen, und kam den folgenden Tag, so bald er von der Post abgestiegen war, zu mir. Jch würde mich wundern, sagte er, ihn izt hier zu sehen, oder, setzte er hinzu: ob ich etwa schon Briefe aus F* hätte. Jch gestand es sogleich; und fast als ob er mir in die Rede fallen wollte, fragt er: was ich ihm riethe, was er thun sollte? -- Das wußte ich freilich nicht; ich verwies ihn an seinen Verwandten, von dem ich die erste Nachricht von ihm erfahren hatte. Zu diesem hinzugehen, kostete viel Ueberredung von meiner, und viel Ueberwindung von seiner Seite. Ueberhaupt stand er da vor mir in einer Gestalt, die mich innigst rührte. Beschämung, Angst, Betäubung, Unentschlossenheit und Anstrengung zum Nachsinnen waren auf seinem Gesichte;


sogar den kleinen M. oft liebkosen? Warum dies thun, wenn er eben vorher auf seiner Stube eine Grausamkeit gegen ihn ausgeuͤbt hatte? Warum den Kindern nach Veruͤbung derselben so scharf einbinden, daß sie nichts sagen sollten, oder er wollte sie massakriren. Er war sich also nicht allein bewußt, daß er es gethan hatte, sondern er wußte auch, daß es etwas schreckliches war. Sollte sich dies so allerdings mit dem Karakter derer Leute reimen lassen, von denen man sagt, sie haͤtten schlimme Jntervalla ― ―

So weit der Mann, bey dem Herr G. Hofmeister war. Was ich nun noch hinzuzufuͤgen noͤthig finde, ist folgendes: Herr G. mußte zwey Tage darauf abreisen, und kam den folgenden Tag, so bald er von der Post abgestiegen war, zu mir. Jch wuͤrde mich wundern, sagte er, ihn izt hier zu sehen, oder, setzte er hinzu: ob ich etwa schon Briefe aus F* haͤtte. Jch gestand es sogleich; und fast als ob er mir in die Rede fallen wollte, fragt er: was ich ihm riethe, was er thun sollte? ― Das wußte ich freilich nicht; ich verwies ihn an seinen Verwandten, von dem ich die erste Nachricht von ihm erfahren hatte. Zu diesem hinzugehen, kostete viel Ueberredung von meiner, und viel Ueberwindung von seiner Seite. Ueberhaupt stand er da vor mir in einer Gestalt, die mich innigst ruͤhrte. Beschaͤmung, Angst, Betaͤubung, Unentschlossenheit und Anstrengung zum Nachsinnen waren auf seinem Gesichte;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0038" n="36"/><lb/>
sogar den kleinen M. oft liebkosen? Warum dies thun, wenn er eben vorher  auf seiner Stube eine Grausamkeit gegen ihn ausgeu&#x0364;bt hatte? Warum den  Kindern nach Veru&#x0364;bung derselben so scharf einbinden, daß sie nichts sagen  sollten, oder er wollte sie massakriren. Er war sich also nicht allein  bewußt, daß er es gethan hatte, sondern er wußte auch, daß es etwas  schreckliches war. Sollte sich dies so allerdings mit dem Karakter derer  Leute reimen lassen, von denen man sagt, sie ha&#x0364;tten schlimme Jntervalla &#x2015; &#x2015; </p>
            <p>So weit der Mann, bey dem Herr G. Hofmeister war. Was ich nun noch  hinzuzufu&#x0364;gen no&#x0364;thig finde, ist folgendes: Herr G. mußte zwey Tage darauf  abreisen, und kam den folgenden Tag, so bald er von der Post abgestiegen  war, zu mir. Jch wu&#x0364;rde mich wundern, sagte er, ihn izt hier zu sehen, oder,  setzte er hinzu: ob ich etwa schon Briefe aus F* ha&#x0364;tte. Jch gestand es  sogleich; und fast als ob er mir in die Rede fallen wollte, fragt er: was  ich ihm riethe, was er thun sollte? &#x2015; Das wußte ich freilich nicht; ich  verwies ihn an seinen Verwandten, von dem ich die erste Nachricht von ihm  erfahren hatte. Zu diesem hinzugehen, kostete viel Ueberredung von meiner,  und viel Ueberwindung von seiner Seite. Ueberhaupt stand er da vor mir in  einer Gestalt, die mich innigst ru&#x0364;hrte. Bescha&#x0364;mung, Angst, Beta&#x0364;ubung,  Unentschlossenheit und Anstrengung zum Nachsinnen waren auf seinem Gesichte;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0038] sogar den kleinen M. oft liebkosen? Warum dies thun, wenn er eben vorher auf seiner Stube eine Grausamkeit gegen ihn ausgeuͤbt hatte? Warum den Kindern nach Veruͤbung derselben so scharf einbinden, daß sie nichts sagen sollten, oder er wollte sie massakriren. Er war sich also nicht allein bewußt, daß er es gethan hatte, sondern er wußte auch, daß es etwas schreckliches war. Sollte sich dies so allerdings mit dem Karakter derer Leute reimen lassen, von denen man sagt, sie haͤtten schlimme Jntervalla ― ― So weit der Mann, bey dem Herr G. Hofmeister war. Was ich nun noch hinzuzufuͤgen noͤthig finde, ist folgendes: Herr G. mußte zwey Tage darauf abreisen, und kam den folgenden Tag, so bald er von der Post abgestiegen war, zu mir. Jch wuͤrde mich wundern, sagte er, ihn izt hier zu sehen, oder, setzte er hinzu: ob ich etwa schon Briefe aus F* haͤtte. Jch gestand es sogleich; und fast als ob er mir in die Rede fallen wollte, fragt er: was ich ihm riethe, was er thun sollte? ― Das wußte ich freilich nicht; ich verwies ihn an seinen Verwandten, von dem ich die erste Nachricht von ihm erfahren hatte. Zu diesem hinzugehen, kostete viel Ueberredung von meiner, und viel Ueberwindung von seiner Seite. Ueberhaupt stand er da vor mir in einer Gestalt, die mich innigst ruͤhrte. Beschaͤmung, Angst, Betaͤubung, Unentschlossenheit und Anstrengung zum Nachsinnen waren auf seinem Gesichte;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/38
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/38>, abgerufen am 30.04.2024.