Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

"Aber wie sind Sie zu solchen Grausamkeiten gekommen? Was hat Sie dazu veranlaßt, sich besonders auf den jungen M* also zu setzen? Jch dächte, wenn es auf Leichtfertigkeit ankäme: so beginge mein Sohn deren weit mehrere als jener?" -- Er habe bereits, war die Antwort, die er vermochte, seit Jahr und Tag ein solches misanthropisches Wesen bey sich gefühlt und gemerkt, daß er seit dieser Zeit einen Hang zur Grausamkeit hätte. -- Bey einem solchen Bekenntnisse hätten mir die Haare zu Berge steigen mögen. -- Er könne übrigens nicht sagen, daß der junge M* ihm dazu besonders Gelegenheit gegeben hätte! Er wisse selbst nicht, wie er dazu gekommen sey. Jn allem diesen und auch noch in andern Antworten, die er aber äußerst sparsam, jedoch mit der höchsten Furchtsamkeit und -- wenigstens anscheinender Beschämung gab, war dennoch so gar nichts, was ihn wegen seines schrecklichen Verhaltens gegen das Kind hätte entschuldigen können; es wäre denn, daß man annehmen wollte, daß er in der That manchmal Jntervalla hätte. Jch gestehe aber aufrichtig, daß, so gern ich auch diese Art der Entschuldigung von ihm annehmen möchte, ich doch dazu in seinem übrigen Betragen keinen hinlänglichen Grund finde. Warum konnte er denn, einige mördrische Blicke, die er von Zeit zu Zeit auf die Kinder in unsrer Gegenwart fallen ließ, ausgenommen, sehr oft ein sehr freundliches Wesen gegen sie, wenn wir dabey waren, annehmen? Warum


»Aber wie sind Sie zu solchen Grausamkeiten gekommen? Was hat Sie dazu veranlaßt, sich besonders auf den jungen M* also zu setzen? Jch daͤchte, wenn es auf Leichtfertigkeit ankaͤme: so beginge mein Sohn deren weit mehrere als jener?« ― Er habe bereits, war die Antwort, die er vermochte, seit Jahr und Tag ein solches misanthropisches Wesen bey sich gefuͤhlt und gemerkt, daß er seit dieser Zeit einen Hang zur Grausamkeit haͤtte. ― Bey einem solchen Bekenntnisse haͤtten mir die Haare zu Berge steigen moͤgen. ― Er koͤnne uͤbrigens nicht sagen, daß der junge M* ihm dazu besonders Gelegenheit gegeben haͤtte! Er wisse selbst nicht, wie er dazu gekommen sey. Jn allem diesen und auch noch in andern Antworten, die er aber aͤußerst sparsam, jedoch mit der hoͤchsten Furchtsamkeit und ― wenigstens anscheinender Beschaͤmung gab, war dennoch so gar nichts, was ihn wegen seines schrecklichen Verhaltens gegen das Kind haͤtte entschuldigen koͤnnen; es waͤre denn, daß man annehmen wollte, daß er in der That manchmal Jntervalla haͤtte. Jch gestehe aber aufrichtig, daß, so gern ich auch diese Art der Entschuldigung von ihm annehmen moͤchte, ich doch dazu in seinem uͤbrigen Betragen keinen hinlaͤnglichen Grund finde. Warum konnte er denn, einige moͤrdrische Blicke, die er von Zeit zu Zeit auf die Kinder in unsrer Gegenwart fallen ließ, ausgenommen, sehr oft ein sehr freundliches Wesen gegen sie, wenn wir dabey waren, annehmen? Warum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0037" n="35"/><lb/>
            <p>»Aber wie sind Sie zu solchen Grausamkeiten gekommen? Was hat Sie dazu  veranlaßt, sich besonders auf den jungen M* also zu setzen? Jch da&#x0364;chte, wenn  es auf Leichtfertigkeit anka&#x0364;me: so beginge mein Sohn deren weit mehrere als  jener?« &#x2015; Er habe bereits, war die Antwort, die er vermochte, seit Jahr und  Tag ein solches misanthropisches Wesen bey sich gefu&#x0364;hlt und gemerkt, daß er  seit dieser Zeit einen Hang zur Grausamkeit ha&#x0364;tte. &#x2015; Bey einem solchen  Bekenntnisse ha&#x0364;tten mir die Haare zu Berge steigen mo&#x0364;gen. &#x2015; Er ko&#x0364;nne  u&#x0364;brigens nicht sagen, daß der junge M* ihm dazu besonders Gelegenheit  gegeben ha&#x0364;tte! Er wisse selbst nicht, wie er dazu gekommen sey. Jn allem  diesen und auch noch in andern Antworten, die er aber a&#x0364;ußerst sparsam,  jedoch mit der ho&#x0364;chsten Furchtsamkeit und &#x2015; wenigstens anscheinender  Bescha&#x0364;mung gab, war dennoch so gar nichts, was ihn wegen seines  schrecklichen Verhaltens gegen das Kind ha&#x0364;tte entschuldigen ko&#x0364;nnen; es wa&#x0364;re  denn, daß man annehmen wollte, daß er in der That manchmal Jntervalla ha&#x0364;tte.  Jch gestehe aber aufrichtig, daß, so gern ich auch diese Art der  Entschuldigung von ihm annehmen mo&#x0364;chte, ich doch dazu in seinem u&#x0364;brigen  Betragen keinen hinla&#x0364;nglichen Grund finde. Warum konnte er denn, einige  mo&#x0364;rdrische Blicke, die er von Zeit zu Zeit auf die Kinder in unsrer  Gegenwart fallen ließ, ausgenommen, sehr oft ein sehr freundliches Wesen  gegen sie, wenn wir dabey waren, annehmen? Warum<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0037] »Aber wie sind Sie zu solchen Grausamkeiten gekommen? Was hat Sie dazu veranlaßt, sich besonders auf den jungen M* also zu setzen? Jch daͤchte, wenn es auf Leichtfertigkeit ankaͤme: so beginge mein Sohn deren weit mehrere als jener?« ― Er habe bereits, war die Antwort, die er vermochte, seit Jahr und Tag ein solches misanthropisches Wesen bey sich gefuͤhlt und gemerkt, daß er seit dieser Zeit einen Hang zur Grausamkeit haͤtte. ― Bey einem solchen Bekenntnisse haͤtten mir die Haare zu Berge steigen moͤgen. ― Er koͤnne uͤbrigens nicht sagen, daß der junge M* ihm dazu besonders Gelegenheit gegeben haͤtte! Er wisse selbst nicht, wie er dazu gekommen sey. Jn allem diesen und auch noch in andern Antworten, die er aber aͤußerst sparsam, jedoch mit der hoͤchsten Furchtsamkeit und ― wenigstens anscheinender Beschaͤmung gab, war dennoch so gar nichts, was ihn wegen seines schrecklichen Verhaltens gegen das Kind haͤtte entschuldigen koͤnnen; es waͤre denn, daß man annehmen wollte, daß er in der That manchmal Jntervalla haͤtte. Jch gestehe aber aufrichtig, daß, so gern ich auch diese Art der Entschuldigung von ihm annehmen moͤchte, ich doch dazu in seinem uͤbrigen Betragen keinen hinlaͤnglichen Grund finde. Warum konnte er denn, einige moͤrdrische Blicke, die er von Zeit zu Zeit auf die Kinder in unsrer Gegenwart fallen ließ, ausgenommen, sehr oft ein sehr freundliches Wesen gegen sie, wenn wir dabey waren, annehmen? Warum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/37
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/37>, abgerufen am 30.04.2024.