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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.

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schlechterdings wissen, ob Sie weinen?" Ja! endlich -- "Warum?" -- Jch bin auf der Treppe gefallen und habe mir den Kopf zerstoßen -- "Und darüber weinten Sie, Sie, die Sie sich wohl zehn Löcher in den Kopf durch Fallen schlagen könnten, ohne zu weinen? -- das ist nicht richtig! Damit Sie wissen, ich erinnere Sie heute, und dann die pure reine Wahrheit!" --

Voll der betrübtesten Ahndung, was ich nun wohl alles erfahren möchte, gehe ich herunter, und erzähle jenen Vorfall meiner Frau. Dieser leuchtete es fast noch heller ein, als mir, daß die schreckliche Brausche, die das Kind am Kopfe, nahe über dem Auge, hatte, nicht von einem Falle, sondern von einem Schlage sein müßte. Sie ward äußerst unruhig darüber. Zum Unglück konnten wir den Abend des 17ten das Examen nicht halten, weil wir Fremde von außen her bekamen. Ein vorläufiges Examen aber, das meine Frau mit meinem Sohne hielt, überzeugte uns nicht allein, daß Ferdinandchens Beule am Kopfe nicht vom Falle auf der Treppe, sondern vielmehr von dem Stocke seines Lehrers auf dem Spatziergange -- und wohl zu merken, in der Zwischenzeit, da er an meine Frau geschrieben hatte, und Antwort erwartete -- verursacht sei; sondern entdeckte uns noch weitere schrecklichere Sachen, von denen ich nicht weiß, wie ich sie Jhnen mit Geduld und ohne die heftigste Wuth -- Ja, Wuth ist der rechte Ausdruck! Sie sollen


schlechterdings wissen, ob Sie weinen?« Ja! endlich ― »Warum?« ― Jch bin auf der Treppe gefallen und habe mir den Kopf zerstoßen ― »Und daruͤber weinten Sie, Sie, die Sie sich wohl zehn Loͤcher in den Kopf durch Fallen schlagen koͤnnten, ohne zu weinen? ― das ist nicht richtig! Damit Sie wissen, ich erinnere Sie heute, und dann die pure reine Wahrheit!« ―

Voll der betruͤbtesten Ahndung, was ich nun wohl alles erfahren moͤchte, gehe ich herunter, und erzaͤhle jenen Vorfall meiner Frau. Dieser leuchtete es fast noch heller ein, als mir, daß die schreckliche Brausche, die das Kind am Kopfe, nahe uͤber dem Auge, hatte, nicht von einem Falle, sondern von einem Schlage sein muͤßte. Sie ward aͤußerst unruhig daruͤber. Zum Ungluͤck konnten wir den Abend des 17ten das Examen nicht halten, weil wir Fremde von außen her bekamen. Ein vorlaͤufiges Examen aber, das meine Frau mit meinem Sohne hielt, uͤberzeugte uns nicht allein, daß Ferdinandchens Beule am Kopfe nicht vom Falle auf der Treppe, sondern vielmehr von dem Stocke seines Lehrers auf dem Spatziergange ― und wohl zu merken, in der Zwischenzeit, da er an meine Frau geschrieben hatte, und Antwort erwartete ― verursacht sei; sondern entdeckte uns noch weitere schrecklichere Sachen, von denen ich nicht weiß, wie ich sie Jhnen mit Geduld und ohne die heftigste Wuth ― Ja, Wuth ist der rechte Ausdruck! Sie sollen

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[28/0030] schlechterdings wissen, ob Sie weinen?« Ja! endlich ― »Warum?« ― Jch bin auf der Treppe gefallen und habe mir den Kopf zerstoßen ― »Und daruͤber weinten Sie, Sie, die Sie sich wohl zehn Loͤcher in den Kopf durch Fallen schlagen koͤnnten, ohne zu weinen? ― das ist nicht richtig! Damit Sie wissen, ich erinnere Sie heute, und dann die pure reine Wahrheit!« ― Voll der betruͤbtesten Ahndung, was ich nun wohl alles erfahren moͤchte, gehe ich herunter, und erzaͤhle jenen Vorfall meiner Frau. Dieser leuchtete es fast noch heller ein, als mir, daß die schreckliche Brausche, die das Kind am Kopfe, nahe uͤber dem Auge, hatte, nicht von einem Falle, sondern von einem Schlage sein muͤßte. Sie ward aͤußerst unruhig daruͤber. Zum Ungluͤck konnten wir den Abend des 17ten das Examen nicht halten, weil wir Fremde von außen her bekamen. Ein vorlaͤufiges Examen aber, das meine Frau mit meinem Sohne hielt, uͤberzeugte uns nicht allein, daß Ferdinandchens Beule am Kopfe nicht vom Falle auf der Treppe, sondern vielmehr von dem Stocke seines Lehrers auf dem Spatziergange ― und wohl zu merken, in der Zwischenzeit, da er an meine Frau geschrieben hatte, und Antwort erwartete ― verursacht sei; sondern entdeckte uns noch weitere schrecklichere Sachen, von denen ich nicht weiß, wie ich sie Jhnen mit Geduld und ohne die heftigste Wuth ― Ja, Wuth ist der rechte Ausdruck! Sie sollen

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/30>, abgerufen am 30.04.2024.