Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


und ein sogenannter Wiedergebohrner werden solle. Der junge Semler sträubte sich lange dagegen, bis ihn endlich ein sonderbarer Vorfall darzu bewog, den wir ihn selbst wollen erzählen lassen.

"Jmmer mehr wurde ich von nun an in die Klemme gebracht, daß mir wirklich Essen und Trinken darum unangenehm wurde, weil ich meinem guten Vater unter den Augen sitzen, und sein stetes Anliegen täglich aufs neue bemerken mußte. Ein Sonntag war endlich schrecklich für mich.

Jch hatte schon lange Zeit her, zum Dank für meinen Claviermeister, ihm die Frühkirchen abgenommen, die zumal im Winter dem schwächlichen Manne sehr beschwerlich fielen.

Er mußte im Schnee und Regen von seinem Häusgen an, den weiten Weg in die Stadtkirche und über eine sehr hohe Kirchentreppe machen. Wenn er also nicht kommen wollte, so schickte er mir Abends die Orgelschlüssel und die Lieder zu, da ich dann auf Clavier und Pedal sie vorher gut genug mir bekannt machen konnte, wenn ja eine schwere Melodie vorkam.

Vor der Amtspredigt, stund ich auch meist gleich hinter ihm, wenn er mir winken wollte, die Orgel zu nehmen, indem ihm zuweilen nicht wohl wurde. Diesen Sonntag hatte er die Amtspredigt zu bedienen; er hatte seine andächtigen vielen Gebete mit gewöhnlicher Jnbrunst hergesagt, welches in der That


und ein sogenannter Wiedergebohrner werden solle. Der junge Semler straͤubte sich lange dagegen, bis ihn endlich ein sonderbarer Vorfall darzu bewog, den wir ihn selbst wollen erzaͤhlen lassen.

»Jmmer mehr wurde ich von nun an in die Klemme gebracht, daß mir wirklich Essen und Trinken darum unangenehm wurde, weil ich meinem guten Vater unter den Augen sitzen, und sein stetes Anliegen taͤglich aufs neue bemerken mußte. Ein Sonntag war endlich schrecklich fuͤr mich.

Jch hatte schon lange Zeit her, zum Dank fuͤr meinen Claviermeister, ihm die Fruͤhkirchen abgenommen, die zumal im Winter dem schwaͤchlichen Manne sehr beschwerlich fielen.

Er mußte im Schnee und Regen von seinem Haͤusgen an, den weiten Weg in die Stadtkirche und uͤber eine sehr hohe Kirchentreppe machen. Wenn er also nicht kommen wollte, so schickte er mir Abends die Orgelschluͤssel und die Lieder zu, da ich dann auf Clavier und Pedal sie vorher gut genug mir bekannt machen konnte, wenn ja eine schwere Melodie vorkam.

Vor der Amtspredigt, stund ich auch meist gleich hinter ihm, wenn er mir winken wollte, die Orgel zu nehmen, indem ihm zuweilen nicht wohl wurde. Diesen Sonntag hatte er die Amtspredigt zu bedienen; er hatte seine andaͤchtigen vielen Gebete mit gewoͤhnlicher Jnbrunst hergesagt, welches in der That

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <floatingText>
              <body>
                <div>
                  <p><pb facs="#f0100" n="98"/><lb/>
und ein sogenannter Wiedergebohrner werden solle. Der junge  <persName ref="#ref0152"><note type="editorial">Semler, Johann Salomo</note>Semler</persName>  stra&#x0364;ubte sich lange dagegen, bis ihn endlich ein sonderbarer Vorfall darzu  bewog, den wir ihn selbst wollen erza&#x0364;hlen lassen. </p>
                  <p>»Jmmer mehr wurde ich von nun an in die Klemme gebracht, daß mir wirklich  Essen und Trinken darum unangenehm wurde, weil ich meinem guten Vater unter  den Augen sitzen, und sein stetes Anliegen ta&#x0364;glich aufs neue bemerken mußte.  Ein Sonntag war endlich schrecklich fu&#x0364;r mich. </p>
                  <p>Jch hatte schon lange Zeit her, zum Dank fu&#x0364;r meinen Claviermeister, ihm die  Fru&#x0364;hkirchen abgenommen, die zumal im Winter dem schwa&#x0364;chlichen Manne sehr  beschwerlich fielen. </p>
                  <p>Er mußte im Schnee und Regen von seinem Ha&#x0364;usgen an, den weiten Weg in die  Stadtkirche und u&#x0364;ber eine sehr hohe Kirchentreppe machen. Wenn er also nicht  kommen wollte, so schickte er mir Abends die Orgelschlu&#x0364;ssel und die Lieder  zu, da ich dann auf Clavier und Pedal sie vorher gut genug mir bekannt  machen konnte, wenn ja eine schwere Melodie vorkam. </p>
                  <p>Vor der Amtspredigt, stund ich auch meist gleich hinter ihm, wenn er mir  winken wollte, die Orgel zu nehmen, indem ihm zuweilen nicht wohl wurde.  Diesen Sonntag hatte er die Amtspredigt zu bedienen; er hatte seine  anda&#x0364;chtigen vielen Gebete mit gewo&#x0364;hnlicher Jnbrunst hergesagt, welches in  der That<lb/></p>
                </div>
              </body>
            </floatingText>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0100] und ein sogenannter Wiedergebohrner werden solle. Der junge Semler straͤubte sich lange dagegen, bis ihn endlich ein sonderbarer Vorfall darzu bewog, den wir ihn selbst wollen erzaͤhlen lassen. »Jmmer mehr wurde ich von nun an in die Klemme gebracht, daß mir wirklich Essen und Trinken darum unangenehm wurde, weil ich meinem guten Vater unter den Augen sitzen, und sein stetes Anliegen taͤglich aufs neue bemerken mußte. Ein Sonntag war endlich schrecklich fuͤr mich. Jch hatte schon lange Zeit her, zum Dank fuͤr meinen Claviermeister, ihm die Fruͤhkirchen abgenommen, die zumal im Winter dem schwaͤchlichen Manne sehr beschwerlich fielen. Er mußte im Schnee und Regen von seinem Haͤusgen an, den weiten Weg in die Stadtkirche und uͤber eine sehr hohe Kirchentreppe machen. Wenn er also nicht kommen wollte, so schickte er mir Abends die Orgelschluͤssel und die Lieder zu, da ich dann auf Clavier und Pedal sie vorher gut genug mir bekannt machen konnte, wenn ja eine schwere Melodie vorkam. Vor der Amtspredigt, stund ich auch meist gleich hinter ihm, wenn er mir winken wollte, die Orgel zu nehmen, indem ihm zuweilen nicht wohl wurde. Diesen Sonntag hatte er die Amtspredigt zu bedienen; er hatte seine andaͤchtigen vielen Gebete mit gewoͤhnlicher Jnbrunst hergesagt, welches in der That

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/100
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/100>, abgerufen am 17.05.2024.