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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

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um in das innre Wesen unsrer eignen Begriffe, und
eben dadurch in die Kenntniß unsrer Seele tiefer
einzudringen.

Doch ich wende mich wieder zu meinem Ge-
genstande und betrachte die unpersönlichen Zeit-
wörter erstlich überhaupt, in sofern sie entweder
Verändrungen außer uns in der Natur, oder
Empfindungen und Verändrungen in uns selber be-
zeichnen, die nicht von unsrer Willkühr abzuhän-
gen scheinen.

Jhren Nahmen haben sie natürlicher Weise
daher erhalten, weil man sich unter denselben eine
bloße Verändrung, ohne eine handelnde Person
denkt, wodurch diese Verändrung hervorgebracht
wird: ja man scheinet nicht einmal dabei auf eine
nächste Ursach Rücksicht zu nehmen.

Denn wenn ich z. B. sage, es donnert, so
stelle ich mir unter dem es doch eigentlich nichts wei-
ter, als den Donner selber vor, und es donnert
heißt daher nichts mehr, als das Donnern ge-
schiehet, oder es ereignet sich eine Verändrung
in der Natur, die ich donnern nenne
. Da
ich mir also das Donnern nicht als eine Handlung
denke, so stelle ich mir auch kein handelndes Wesen
vor, von dem es ausgeht, sondern es geschiehet,
nach meiner Vorstellung, gleichsam vermöge seiner
eignen Natur; und in und durch sich selber, weil

ich

um in das innre Wesen unsrer eignen Begriffe, und
eben dadurch in die Kenntniß unsrer Seele tiefer
einzudringen.

Doch ich wende mich wieder zu meinem Ge-
genstande und betrachte die unpersoͤnlichen Zeit-
woͤrter erstlich uͤberhaupt, in sofern sie entweder
Veraͤndrungen außer uns in der Natur, oder
Empfindungen und Veraͤndrungen in uns selber be-
zeichnen, die nicht von unsrer Willkuͤhr abzuhaͤn-
gen scheinen.

Jhren Nahmen haben sie natuͤrlicher Weise
daher erhalten, weil man sich unter denselben eine
bloße Veraͤndrung, ohne eine handelnde Person
denkt, wodurch diese Veraͤndrung hervorgebracht
wird: ja man scheinet nicht einmal dabei auf eine
naͤchste Ursach Ruͤcksicht zu nehmen.

Denn wenn ich z. B. sage, es donnert, so
stelle ich mir unter dem es doch eigentlich nichts wei-
ter, als den Donner selber vor, und es donnert
heißt daher nichts mehr, als das Donnern ge-
schiehet, oder es ereignet sich eine Veraͤndrung
in der Natur, die ich donnern nenne
. Da
ich mir also das Donnern nicht als eine Handlung
denke, so stelle ich mir auch kein handelndes Wesen
vor, von dem es ausgeht, sondern es geschiehet,
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[94/0098] um in das innre Wesen unsrer eignen Begriffe, und eben dadurch in die Kenntniß unsrer Seele tiefer einzudringen. Doch ich wende mich wieder zu meinem Ge- genstande und betrachte die unpersoͤnlichen Zeit- woͤrter erstlich uͤberhaupt, in sofern sie entweder Veraͤndrungen außer uns in der Natur, oder Empfindungen und Veraͤndrungen in uns selber be- zeichnen, die nicht von unsrer Willkuͤhr abzuhaͤn- gen scheinen. Jhren Nahmen haben sie natuͤrlicher Weise daher erhalten, weil man sich unter denselben eine bloße Veraͤndrung, ohne eine handelnde Person denkt, wodurch diese Veraͤndrung hervorgebracht wird: ja man scheinet nicht einmal dabei auf eine naͤchste Ursach Ruͤcksicht zu nehmen. Denn wenn ich z. B. sage, es donnert, so stelle ich mir unter dem es doch eigentlich nichts wei- ter, als den Donner selber vor, und es donnert heißt daher nichts mehr, als das Donnern ge- schiehet, oder es ereignet sich eine Veraͤndrung in der Natur, die ich donnern nenne. Da ich mir also das Donnern nicht als eine Handlung denke, so stelle ich mir auch kein handelndes Wesen vor, von dem es ausgeht, sondern es geschiehet, nach meiner Vorstellung, gleichsam vermoͤge seiner eignen Natur; und in und durch sich selber, weil ich

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/98>, abgerufen am 23.11.2024.