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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

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Berlin den 5ten November 1782.

So wollen Sie denn noch immer im Ernste, daß
ich Jhnen den Traum meiner Kindheit, den ich
Jhnen bei unserer letzten Zusammenkunft, als sich
die Unterredung auf das Vorhersehungsvermögen
der Seele gelenkt hatte, erzählte, jetzt schriftlich
aufsetzen soll? Gut, ich gehorche. Aber ich bleibe
dabei -- dieser Traum war sicher nichts weiter,
als ein Spiel meiner im Schlaf geschäftigen Seele!
daß gerade damals eine wirkliche Begebenheit vor-
fiel, die mit der geträumten völlige Ähnlichkeit
hatte, war -- Zufall *).

Sprechen wir nicht sogar wachend öfters von
einem Dritten? sagen wir da nicht, wenn sich ir-
gend etwa ein Geräusch an unserer Thüre hören
läßt, im vollen Spaß: da wird er kommen, weil
wir's vielleicht wünschen, daß dies geschehe; und
-- siehe! der tritt herein, von dem wir im Ernst
es gar nicht vermuthet hatten, daß er hereintreten
würde. Wem ist es noch zur Zeit eingefallen, dar-
aus ein Vorhersehungsvermögen unserer Seele her-
zuleiten?


Der
*) Für jetzt bin ich auch noch dieser Meinung, glaube
aber, daß mehrere Fakta, die das Gegentheil zu
beweisen scheinen, doch in Erwägung zu ziehen sind.
M.

Berlin den 5ten November 1782.

So wollen Sie denn noch immer im Ernste, daß
ich Jhnen den Traum meiner Kindheit, den ich
Jhnen bei unserer letzten Zusammenkunft, als sich
die Unterredung auf das Vorhersehungsvermoͤgen
der Seele gelenkt hatte, erzaͤhlte, jetzt schriftlich
aufsetzen soll? Gut, ich gehorche. Aber ich bleibe
dabei — dieser Traum war sicher nichts weiter,
als ein Spiel meiner im Schlaf geschaͤftigen Seele!
daß gerade damals eine wirkliche Begebenheit vor-
fiel, die mit der getraͤumten voͤllige Aͤhnlichkeit
hatte, war — Zufall *).

Sprechen wir nicht sogar wachend oͤfters von
einem Dritten? sagen wir da nicht, wenn sich ir-
gend etwa ein Geraͤusch an unserer Thuͤre hoͤren
laͤßt, im vollen Spaß: da wird er kommen, weil
wir's vielleicht wuͤnschen, daß dies geschehe; und
— siehe! der tritt herein, von dem wir im Ernst
es gar nicht vermuthet hatten, daß er hereintreten
wuͤrde. Wem ist es noch zur Zeit eingefallen, dar-
aus ein Vorhersehungsvermoͤgen unserer Seele her-
zuleiten?


Der
*) Fuͤr jetzt bin ich auch noch dieser Meinung, glaube
aber, daß mehrere Fakta, die das Gegentheil zu
beweisen scheinen, doch in Erwaͤgung zu ziehen sind.
M.
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[82/0086] Berlin den 5ten November 1782. So wollen Sie denn noch immer im Ernste, daß ich Jhnen den Traum meiner Kindheit, den ich Jhnen bei unserer letzten Zusammenkunft, als sich die Unterredung auf das Vorhersehungsvermoͤgen der Seele gelenkt hatte, erzaͤhlte, jetzt schriftlich aufsetzen soll? Gut, ich gehorche. Aber ich bleibe dabei — dieser Traum war sicher nichts weiter, als ein Spiel meiner im Schlaf geschaͤftigen Seele! daß gerade damals eine wirkliche Begebenheit vor- fiel, die mit der getraͤumten voͤllige Aͤhnlichkeit hatte, war — Zufall *). Sprechen wir nicht sogar wachend oͤfters von einem Dritten? sagen wir da nicht, wenn sich ir- gend etwa ein Geraͤusch an unserer Thuͤre hoͤren laͤßt, im vollen Spaß: da wird er kommen, weil wir's vielleicht wuͤnschen, daß dies geschehe; und — siehe! der tritt herein, von dem wir im Ernst es gar nicht vermuthet hatten, daß er hereintreten wuͤrde. Wem ist es noch zur Zeit eingefallen, dar- aus ein Vorhersehungsvermoͤgen unserer Seele her- zuleiten? Der *) Fuͤr jetzt bin ich auch noch dieser Meinung, glaube aber, daß mehrere Fakta, die das Gegentheil zu beweisen scheinen, doch in Erwaͤgung zu ziehen sind. M.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/86>, abgerufen am 25.11.2024.