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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

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ten die Eltern Gelegenheit, es dem damals sehr berühmten Hofrath Heister, da er sich eben in Braunschweig aufhielt, vorzuzeigen, und dieser große Arzt seiner Zeit, sagte es ihnen, daß keine Hofnung wäre, daß ihr Kind je würde hören und sprechen können. So wurde es also damals für ein taub- und stummgebohrnes Kind gehalten, und dafür hält sie ein jeglicher noch, der sie kennet. Damit ich aber hier nichts schreiben möchte, wovon ich nicht, so viel möglich, vergewissert wäre, so erbat ich mir hierüber das Urtheil des hiesigen einsichtsvollen Hofmedikus dü Roi, welches ich auch erhielt.

Jch komme wieder zurück in meiner Erzählung, auf die Jugendjahre dieses tauben und stummen Mädchens. Jhre Eltern machten mit ihr alle Versuche, ob ihr nicht sowohl im Jrrdischen, als auch besonders in der Religion etwas könnte beigebracht werden. Sie schickten sie viele Jahre nacheinander zur Schule, und auch dahin, wo sie in Handarbeiten Unterricht haben konnte. Von den irrdischen Geschäften lernte sie verschiedenes; aber in der Schule weiter nichts, als mechanisch das Schreiben; und nicht das geringste von der Religion.

Nachdem ihre Eltern frühzeitig verstorben waren, so nahm sie ihre jetzt im 92ten Jahre noch munter und gesund lebende Großmutter zu sich und hat sie bereits dreizehn Jahr als eine Vater- und Mutterlose Waise verpfleget. Auch diese ihre alte


ten die Eltern Gelegenheit, es dem damals sehr beruͤhmten Hofrath Heister, da er sich eben in Braunschweig aufhielt, vorzuzeigen, und dieser große Arzt seiner Zeit, sagte es ihnen, daß keine Hofnung waͤre, daß ihr Kind je wuͤrde hoͤren und sprechen koͤnnen. So wurde es also damals fuͤr ein taub- und stummgebohrnes Kind gehalten, und dafuͤr haͤlt sie ein jeglicher noch, der sie kennet. Damit ich aber hier nichts schreiben moͤchte, wovon ich nicht, so viel moͤglich, vergewissert waͤre, so erbat ich mir hieruͤber das Urtheil des hiesigen einsichtsvollen Hofmedikus duͤ Roi, welches ich auch erhielt.

Jch komme wieder zuruͤck in meiner Erzaͤhlung, auf die Jugendjahre dieses tauben und stummen Maͤdchens. Jhre Eltern machten mit ihr alle Versuche, ob ihr nicht sowohl im Jrrdischen, als auch besonders in der Religion etwas koͤnnte beigebracht werden. Sie schickten sie viele Jahre nacheinander zur Schule, und auch dahin, wo sie in Handarbeiten Unterricht haben konnte. Von den irrdischen Geschaͤften lernte sie verschiedenes; aber in der Schule weiter nichts, als mechanisch das Schreiben; und nicht das geringste von der Religion.

Nachdem ihre Eltern fruͤhzeitig verstorben waren, so nahm sie ihre jetzt im 92ten Jahre noch munter und gesund lebende Großmutter zu sich und hat sie bereits dreizehn Jahr als eine Vater- und Mutterlose Waise verpfleget. Auch diese ihre alte

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[83/0087] ten die Eltern Gelegenheit, es dem damals sehr beruͤhmten Hofrath Heister, da er sich eben in Braunschweig aufhielt, vorzuzeigen, und dieser große Arzt seiner Zeit, sagte es ihnen, daß keine Hofnung waͤre, daß ihr Kind je wuͤrde hoͤren und sprechen koͤnnen. So wurde es also damals fuͤr ein taub- und stummgebohrnes Kind gehalten, und dafuͤr haͤlt sie ein jeglicher noch, der sie kennet. Damit ich aber hier nichts schreiben moͤchte, wovon ich nicht, so viel moͤglich, vergewissert waͤre, so erbat ich mir hieruͤber das Urtheil des hiesigen einsichtsvollen Hofmedikus duͤ Roi, welches ich auch erhielt. Jch komme wieder zuruͤck in meiner Erzaͤhlung, auf die Jugendjahre dieses tauben und stummen Maͤdchens. Jhre Eltern machten mit ihr alle Versuche, ob ihr nicht sowohl im Jrrdischen, als auch besonders in der Religion etwas koͤnnte beigebracht werden. Sie schickten sie viele Jahre nacheinander zur Schule, und auch dahin, wo sie in Handarbeiten Unterricht haben konnte. Von den irrdischen Geschaͤften lernte sie verschiedenes; aber in der Schule weiter nichts, als mechanisch das Schreiben; und nicht das geringste von der Religion. Nachdem ihre Eltern fruͤhzeitig verstorben waren, so nahm sie ihre jetzt im 92ten Jahre noch munter und gesund lebende Großmutter zu sich und hat sie bereits dreizehn Jahr als eine Vater- und Mutterlose Waise verpfleget. Auch diese ihre alte

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/87>, abgerufen am 02.05.2024.